„Bergische Transfergeschichte“: Mit Animationsfilmen das Lehren lernen
„Angehende Sozialwissenschaftslehrkräfte müssen sich ja vor allem auf ihre Rolle als zukünftige Lehrkräfte vorbereiten“, sagt Katrin Hahn-Laudenberg, „und da besteht die Aufgabe darin, zu lernen, wie man Schüler*innen auf ihre aktive Rolle als Bürger*innen vorbereiten und für eine Mitgestaltung der Demokratie und der Gesellschaft unterstützen kann.“ Konkret bedeute das, dass Schüler*innen vor dem Hintergrund ihrer Werte und Interessenlagen reflektieren lernen und eine Position finden, aus der heraus sie als politisch und gesellschaftlich mündige Bürger*innen die demokratische Gesellschaft mitgestalten und politische Entscheidungen beeinflussen können. Die Hilfestellung der Lehrer*innen bestehe dabei zunächst darin, die Grundlagen einer Meinungsbildung zu vermitteln. „Wir gehen davon aus, dass Schüler*innen, um ihre eigene Meinung zu entwickeln, ein grundlegendes Verständnis von politischen, gesellschaftlichen und sozialen Prozessen und Strukturen brauchen“, erklärt die Wissenschaftlerin. Dann könne man darauf aufbauend eine Urteilsfähigkeit und Handlungsfähigkeit entwickeln.
Abstrakte Diskussionen über den Aufbau des Bundestages oder die Funktion des Wirtschaftssystems seien da wenig hilfreich: „Lehrer*innen arbeiten am besten mit ganz konkreten Fragen zu bestimmten Fällen im Unterricht, Konflikten oder realen, zukünftigen Anforderungssituationen.“ Das seien dann Situationen, in die Schüler*innen gegenwärtig oder zukünftig kommen könnten. Diese würden im Unterricht skizziert und kontrovers diskutiert, um dann nach Möglichkeiten oder legitimen Positionen zu suchen. „Das geschieht dann spielerisch. Entweder vertritt man in Kleingruppen die eigene Position oder man nimmt auch einmal eine vorgegebene, zum Beispiel die gegnerische Position ein“, erläutert sie die Vorgehensweise. Dabei sei vor allem eine vorbereitende Informationsphase wichtig. „Schüler*innen holen Informationen ein, bewerten, wie glaubwürdig diese sind, damit die eigene Meinung nicht nur so daher gesagt ist, sondern sich auch auf Argumente stützt, die ein Urteil erlauben. Dieses muss durch Sachaspekte fundiert sein, aber auch auf bewussten Wertentscheidungen beruhen.“
Das LArS-Projekt in NRW
Um Unterricht kontrovers zu gestalten und Schüler*innen dadurch reflektierter urteilen zu lassen, gibt es ein neues Landesprojekt mit dem Titel LArS.NRW, welches angehende Akademiker*innen durch Animationsfilme professionalisieren soll. LArS.NRW ist ein vom Ministerium für Kultur und Wissenschaft gefördertes Verbundprojekt. Die Projektumsetzung erfolgt dabei in enger Zusammenarbeit zwischen den Verbundpartnerinnen und ihren Teams unter der Gesamtprojektleitung der Universitäten Dortmund sowie der Universität Duisburg-Essen und der Bergischen Universität Wuppertal. Unter dem Titel „Lernen mit Animationsfilmen realer Szenen sozialwissenschaftlicher Unterrichtsfächer: ein digitales Lehr-/Lernangebot zur Professionalisierung angehender Lehrkräfte“ bietet das Projekt einen neuen, ungewöhnlichen Lernansatz. „Es geht darum, dass wir aus einem bestehenden Pool von authentischen Unterrichtsvideos und den daraus erstellten Transkripten bestimmte Schlüsselszenen auswählen und diese umwandeln in Animationsfilme, die dann wieder in bestimmte Lehr- und Lernkontexte eingesetzt werden“, sagt Hahn-Laudenberg. Dabei untersuchen die beteiligten Hochschulen verschiedene Schwerpunkte wie Unterrichtseinstiege, Urteilsphasen und Critical Incidents, also kritische Ereignisse. Hinsichtlich der verschiedenen rechtlichen Fragen, die sich durch die freie, auch außeruniversitäre Veröffentlichung der LArS-Materialen ergeben, arbeiten sie zudem mit der Hochschul-Kooperationsgemeinschaft Digitale Hochschule NRW und dem Team hinter dem Landesportal ORCA.NRW zusammen. „An der Uni Wuppertal sind wir für die ,Critical Incidents‘ zuständig“, erklärt sie, „und der erste Schritt ist, dass man im Material nach Schlüsselszenen kritischer Ereignisse sucht, also Stellen, wo der Unterricht besonders gut gelingen, aber auch kippen kann.“ Diese aussagekräftigen Szenen werden dann übertragen, in ein Storyboard umgesetzt und im Studio des Zentrums für Informations- und Medienverarbeitung der Bergischen Universität (ZIM) vertont. „Auf dieser Basis wird dann die Animation erstellt. Das sind also fiktive Charaktere, die dann gezeichnet sind. In Kombination mit Ton und Bild ergibt das dann einen Animationsfilm“, sagt Hahn-Laudenberg. Im ständigen Austausch zwischen Wissenschaftler*innen und Filmteam spielt dabei der didaktische Aspekt eine wesentliche Rolle. „Wichtig ist, dass wir nachher animierte Charaktere haben, die eine reale Situation zeigen.“
Lehrinstitute brauchen anschauliches Material, um reale Situationen im Lehrbetrieb verständlich zu machen, doch das ist nicht immer einfach. Datenschutz ist sicher nur ein Aspekt, der es gerade im sozialwissenschaftlichen Bereich schwermacht, an solche frei zugänglichen Dokumente zu kommen. „In Bezug auf die Videos glaube ich, ist es eine gute Möglichkeit. Gerade in der Sowi-Didaktik haben wir keine vergleichbaren Materialien und vor allem keine frei zugänglichen“, bestätigt die Forscherin. Außerdem könne man mit Animationsfilmen auch stoffliche Inhalte auf wesentliche Punkte reduzieren, die Wahrnehmung auf bestimmte didaktische Fragestellungen lenken und so den Fokus besser ausrichten.
LUiSA meets LArS
Die erstellten Animationsfilme des LArS-Projekts sind aber erst der Anfang. Zusammen mit dem LArS-Team und Heike Seehagen-Marx vom Medienlabor des ZIM arbeitet Hahn-Laudenberg bereits an der Entwicklung einer Storyboard-App mit dem Namen LUiSA. LUiSA wird auch über die Lernumgebung von LArS hinaus weiterentwickelt und Studierenden und Lehrenden in Lehramtsstudiengängen ein schnelles und intuitives Darstellen von Klassenraumszenen ermöglichen. Lehramtsstudierende sollen damit kurze comicartige Sequenzen von Bildergeschichten entwickeln können, die einen visuell gestützten Austausch über typische und herausfordernde Handlungssituationen im Unterricht ermöglichen und damit die Entwicklung professioneller Kompetenzen fördern. Dazu ein Beispiel: „Wenn Sie jetzt eine bestimmte Unterrichtsszene haben, also eine ,Fishbowldiskussion‘, wo in der Mitte einige Schüler diskutieren und drumherum andere sitzen, die das beobachten, dann können die auch mal die Position wechseln und die Diskussion verläuft vielleicht nicht so konstruktiv. Oder es gibt Schüler*innen, die populistische Äußerungen einbringen, die vielleicht problematisch sind. Dann ist da immer die Frage, wie sich die Lehrkraft verhält, ob und in welcher Form sie eingreift.“ Es gebe keine richtige Lösung, betont Hahn-Laudenberg, sondern es gebe immer Alternativen mit bestimmten Vor- und Nachteilen. An dieser Stelle kommt die neue App ins Spiel. „Diese App ist so geplant, dass wir dort Szenen, die wir in LArS dargestellt haben, verändern, oder aber ganz neue Situationen gestalten können.“
Animationsfilme könnten Anbindung finden
Auf die Frage, wer von diesen Filmen noch profitieren könne, antwortet die Sozialwissenschaftlerin: „Grundsätzlich sind diese Unterrichtsszenen für den sozialwissenschaftlichen Unterricht in den genannten drei Modulen ausgewählt worden. Ich glaube, dass das Modul Unterrichtseinstiege sehr gut in benachbarte Fächer passt wie Geschichte und Geografie. Auch die Fragen von Urteilsfähigkeit wären in diversen Fächern nutzbar. Der Bereich ,Critical Incidents‘, für den wir verantwortlich sind, bietet sich nicht nur für eine einzelne Fächerperspektive an, sondern auch für eine allgemein bildungswissenschaftliche oder demokratiepädagogische Perspektive. Das sind Fragen, die in ganz vielen Fächern relevant sind.“
Das Arbeiten mit LArS und LUiSA im Unterricht bietet zwei unterschiedliche Herangehensweisen an, die eine neue Qualität in den Lehrbetrieb bringen. „Man bringt praktisch eine gestaltete Unterrichtsszene in den Unterricht ein, um das mit den Studierenden zu diskutieren“, erklärt sie, „oder man lässt die Studierenden bei der Reflexion von Praxiserfahrung eben solche Situationen selber erstellen.“ Die Animationsfilme sind ein weiterer Baustein in der Lehramtsausbildung und regen die Reflexion über typische Unterrichtssituationen an, resümiert Hahn-Laudenberg, ersetzen aber keine Praxiserfahrung, die angehende Lehrkräfte nach wie vor dringend brauchen.
Uwe Blass
Die vollständige Transfergeschichte lesen Sie hier.
Dr. Katrin Hahn-Laudenberg studierte Politische Wissenschaft, Soziologie und Öffentliches Recht/Völkerrecht an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität in Bonn und promovierte 2016 in Karlsruhe. Seit 2018 lehrt sie als Vertretungsprofessorin „Didaktik der Sozialwissenschaften“ an der Bergischen Universität.