„Bergische Transfergeschichten“: „Das Verfahren ist in der Automobilindustrie heiß begehrt“
„Für mich ist erst einmal wichtig zu wissen, was ich für Forschung brauche. Das ist Neugierde!“, sagt Prof. Dr.-Ing. Axel Schumacher, Lehrstuhlinhaber des Fachs Optimierung mechanischer Strukturen in der Fakultät für Maschinenbau und Sicherheitstechnik an der Bergischen Universität. Diese Grundvoraussetzung, die Forschung brauche – wissen zu wollen, wie sich Dinge entwickelten –, benötige zunächst keine Praxiserfahrung, führe jedoch häufig dazu, dass man nicht wirklich erkenne, wie relevant Ergebnisse sein könnten. Der gelernte Maschinenschlosser absolvierte nach einer Lehre ein Maschinenbaustudium in Duisburg und Aachen und arbeitete einige Jahre als Projektleiter bei Opel. Daher kennt er die Unternehmensstrukturen großer Automobilhersteller nur zu gut und weiß, dass Forschung Ergebnisse liefern muss. „Im Maschinenbau ist es besonders wichtig, dass das, was ich technisch mache, auch irgendwann einmal umgesetzt werden kann“, erklärt er. „Wir belasten hier mit einem Riesenaufwand Computer, und es ist absolut notwendig, dass man unsere Ergebnisse brauchen kann.“
An seinem Lehrstuhl arbeitet Schumacher mit acht wissenschaftlichen Mitarbeiter*innen sowie sieben zusätzlichen Doktorand*innen, die ihre Arbeitsstelle in Firmen oder anderen Forschungseinrichtungen haben. „Die Doktorand*innen sind alle an uns herangetreten, um auf dem Gebiet der Optimierung mechanischer Strukturen zu promovieren. Das ist schon eine schöne Entwicklung für ein relativ kleines Fach“, sagt er. Mit anderthalb Planstellen finanziert Schumacher den Rest seines Teams über Drittmittel, die er aus der Wirtschaft und von öffentlichen Förderern erhält.
Verringerung des CO₂-Ausstoßes durch Leichtbau
Zu Schumachers Forschungsschwerpunkten gehört u. a. der Leichtbau von Automobilen. Zu dem Ziel, den CO₂-Ausstoß zu verringern, können optimierte Leichtbaukonstruktionen entscheidend beitragen, wenn man die Ergebnisse weltweit hochrechnet. „Wenn wir mit dem Auto fahren, dann hat das Fahrzeug mehrere Widerstände. Einen Fahrwiderstand im Sinne von Beschleunigung, im Sinne von Steigung, Reibung und Luftwiderstand“, erklärt er. Außer dem Luftwiderstand hingen alle anderen Widerstände von der Masse ab und wenn man diese reduziere, verringerten sich auch die Widerstände. „Wenn wir 100 Kilogramm am Fahrzeug sparen, können wir 8,4 Gramm CO₂ pro Fahrzeug reduzieren“, sagt der Wissenschaftler und das geschehe hauptsächlich an der Karosserie. „Das nennen wir Leichtbauspirale und die funktioniert folgendermaßen: Habe ich eine leichtere Karosserie, dann kann ich einen leichteren Motor einbauen. Dadurch reduziere ich die Motorgröße und kann Gewicht und auch Belastung für Bremsen und Antriebswellen sparen. Diese ganzen Kräfte, die die Karosserie tragen muss, werden somit reduziert und die Spirale dreht sich nach unten.“
Auch wenn man nicht direkt auf 100 Kilogramm komme, so spare man an der einen Stelle mal fünf Kilo und an der anderen Stelle mal vier Kilo. Und so reduziere man Stück für Stück Gewicht. Die langfristigen Auswirkungen lassen sich für den Laien besser verstehen, wenn man den CO₂-Ausstoß nun auf alle 58,2 Millionen in Deutschland zugelassenen PKW berechne, wobei Schumacher betont: „Die Deutschen produzieren weltweit, d. h. Deutschland ist nur eine kleine Spielwiese, was die PKW angeht. Wenn wir hier etwas für VW machen, dann hat das weltweite Auswirkungen.“
Optimierungsalgorithmen rechnen mit biologischen Wachstumsregeln
Kaum zu glauben, aber bei der Optimierung mechanischer Strukturen, kommen auch Erkenntnisse aus der Biologie zum Einsatz. „Wir finden Formen mit mathematischen Optimierungsalgorithmen“, berichtet Schumacher. „Wir definieren, was wir haben wollen, und machen das basierend auf Simulationen der mechanischen Eigenschaften. Da gibt es unterschiedliche Ansätze. Eine Möglichkeit ist die biologische Evolution, die wir im Computer abbilden.“ Generierte Mutationen würden in der Biologie selektiert. Diesen Prozess bilde er mit seinem Team am Computer ab. Diese Art der Optimierung gebe es bereits seit den 70er Jahren und Schumacher verwendet die Erkenntnisse, um sie weiter zu entwickeln. Dazu nutzt er Wissen, dass man über Bäume und Knochen herausgefunden hat. „Wir sehen uns die geometrischen Wachstumsregeln an. Wie wächst ein Knochen? Wie wächst ein Baum? Und das kann man in der Formoptimierung einprogrammieren.“ An den Stellen, an denen ein Baum oder ein Knochen besonders stark belastet ist, werde immer Material hinzugebaut. So fülle ein Baum eine ihm zugefügte Kerbe relativ schnell wieder auf und auch der menschliche Knochen bilde bei entsprechender Belastung Material nach. Die Veränderung der Struktur verlaufe dann im Rechner in aufwändigen Zeitschritten, sodass sich diese Verfahren aus Kostengründen auch nur für Bauteile in großen Stückzahlen lohnen. Im Bergischen Land gebe es bedauerlicherweise nur sehr wenige Firmen, die Simulationen der mechanischen Eigenschaften durchführten. „Im Bergischen haben die Firmen das Fertigungs-Knowhow. Die wissen, wie sie so etwas bauen, sollen aber in Zukunft auch die Entwicklung zu den Bauteileigenschaften machen. Das können sie bei uns lernen.“
Neue Fahrzeugkonzepte
Die Digitalisierung geht in großen Schritten voran, die Software für Programme unterliegt einer ständigen Erneuerung, die Schumacher mit seinem Team selber erstellt. In einem neuen Forschungsprojekt zur Optimierung von 3D-Crashstrukturen nutzen Schumacher und sein Team die am Lehrstuhl entwickelte Optimierungssoftware GHT (Graphen- und Heuristikbasierte Topologieoptimierung), mit der Profilquerschnitte von Crashelementen – z. B. der Fahrzeugschweller für den Seitencrash – optimiert werden. „Diese Methode kombiniert mathematische Optimierungsalgorithmen mit aus Expertenwissen abgeleiteten Regeln, den Heuristiken. Mit diesen Heuristiken werden im automatischen Optimierungsprozess sukzessive Layout-Vorschläge generiert, die mit den mathematischen Algorithmen formoptimiert werden.“ Das alles sei sehr kompliziert, wodurch sein Wuppertaler Lehrstuhl auch weltweit eine Alleinstellung genieße, denn die meisten Optimierer*innen trauten sich erst gar nicht an diese Herausforderungen heran.
Schumachers biografischer Vorteil liegt hier zum einen an seinen Erfahrungen der Crashberechnung in der freien Wirtschaft sowie seiner Promotion zum Thema Optimierung. Beides zusammen und das Umdenken der Autoindustrie, zugunsten der E-Mobilität lassen sein Projekt zu einem echten Renner werden. „Das Verfahren ist in der Automobilindustrie heiß begehrt. Vor allem, weil durch die alternativen Antriebe neue, völlig andere Fahrzeugkonzepte entstehen. Da hilft unser Verfahren gerade sehr. Es gibt sogar schon Fahrzeuge auf der Straße, die Strukturen beinhalten, die mit unserem Verfahren generiert wurden.“ Der Umbruch in der Fahrzeugindustrie begünstige die Entwicklung des Verfahrens. „Es müssen neue Konzepte her und wir wissen, wie sie es machen sollen. Wir liefern mit unserem Verfahren die ersten Ideen, wie man so etwas aufbauen kann.“
Neugierde, sagte Axel Schumacher zu Beginn, sei das, was man für die Forschung brauche. Auf dem Weg in ein neues Mobilitätszeitalter gilt das auch für die Wirtschaft.
Uwe Blass
Die vollständige Transfergeschichte lesen Sie hier.
Prof. Dr.-Ing. Axel Schumacher studierte Maschinenbau in Duisburg und Aachen. Von 2003 bis 2012 lehrte er als Professor an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg, Department Fahrzeugtechnik und Flugzeugbau. Seit 2012 leitet er den Lehrstuhl für Optimierung mechanischer Strukturen in der Fakultät Maschinenbau und Sicherheitstechnik an der Bergischen Universität.