„Bergische Transfergeschichten“: Einblicke in die Impfstoff-Forschung und neue Formen der Krebstherapie
Die wesentliche Funktion der Ribonukleinsäure (RNA) umfasst die Umsetzung genetischer Information in Proteine in der biologischen Zelle. Der Wuppertaler Zellbiologe Prof. Dr. Martin Simon leitet seit 2018 die Fachgruppe Molekulare Zellbiologie und Mikrobiologie in der Fakultät Mathematik und Naturwissenschaften an der Bergischen Universität und erklärt die Aufgabe der RNA so: „Die RNA ist ähnlich wie die DNA (Desoxyribonukleinsäure) aufgebaut. Die DNA ist unser konservatives Erbmaterial, sie ist stabil im Zellkern und in doppelter Kopie vorhanden, um ein Backup zu erstellen. Die RNA ist quasi ein Vermittler.“
Die RNA stellt also eine Abschrift der DNA her, deren Information dann ins Protein übertragen werde. Der Code der Basenabfolge werde dadurch in den Code der Aminosäureabfolge übersetzt. Der Mechanismus der sogenannten Proteinsynthese ist seit langem bekannt. „Aber diese Funktion hat eine komplette Neubeschreibung erfahren“, fügt Simon sofort hinzu, denn seit gut 20 Jahren habe man viele neue Klassen von Ribonukleinsäuren identifiziert, die einen regulatorischen Effekt hätten, durch den sie Gene an- und ausschalten könnten.
Die Software des Genoms dient als Impfstoffgrundlage
„Heute sind wir an einem Standpunkt angekommen, wo wir RNA als eine extrem variable Substanz erfahren oder erkennen. Sie ist viel wandelbarer als die DNA und sie hat viel mehr Funktionen, denn sie kann regulieren, anschalten und abschalten. Sie stellt eigentlich die Software des Genoms dar.“ Gegen Corona werden erstmals RNA-Impfstoffe erprobt. Dabei wollen Mediziner*innen ihren Patient*innen ein kleines Stückchen RNA spritzen, die in den menschlichen Zellen die Produktion des Antigens von Sars-CoV-2 auslöst. „Es ist ein eleganter Mechanismus“, beschreibt der Wissenschaftler den Ablauf, denn „im Prinzip ist der Vorgang dieser Immunisierung, dieser Impfung, derselbe, wie bei allen Impfstoffen, nur, dass man hier kein Protein injiziert, sondern man injiziert eine mRNA, auch Boten-RNA genannt, die eine Matrize darstellt für die Proteinsynthese. Wir selbst stellen das Antigen her und aktivieren somit unsere T-Zellen (T-Zellen bilden eine Gruppe von weißen Blutzellen, die der Immunabwehr dient, Anm. d. Red.), das heißt wir steigen eigentlich zu einem etwas späteren Zeitpunkt ein.“
Andere Impfprinzipien beruhen auf viralen Vektoren, welche Erbgut, also DNA oder RNA in unsere Zellen bringen, und das spare man sich jetzt. Der große Vorteil sei dabei, dass die Entwicklung schneller gehe. „Das ist genau das, was wir jetzt in der Corona-Situation brauchen“, erklärt er die Vorgehensweise. „Die Biotech-Firmen haben jetzt wirklich nicht die Zeit, lange Virusvektoren zusammenzubauen, gegen die wir dann immunisiert werden, denn das ist relativ kompliziert. Das geht hier jetzt viel schneller, weil man nur ein mRNA-Molekül zu synthetisieren braucht. Am Anfang habe auch ich erstmal gestutzt. Ich musste nachlesen, denn da war auch die Informationspolitik träge. Wir werden sicher in Zukunft öfter in die Situation kommen, dass uns Viren bedrohen, und von daher ist das eine Methode für die Zukunft. Die Entwicklungszeit ist einfach viel kürzer.“ Das noch zu lösende Problem dabei sei aber zum einen die enorme Menge, die hergestellt werden müsse, sowie die notwendige Kühlungstemperatur, denn die mRNA sei ein sehr kurzlebiger Faktor.
Sorge um die DNA und unser Genom
Aus Sorge um Langzeitschäden an unserer DNA unterstützen nicht alle Wissenschaftler*innen den schnelleren Weg in der Pandemiezeit. Simon spricht aus heutiger Sicht über eine geringe Wahrscheinlichkeit von Nebenwirkungen und sagt: „Es gibt noch keine Daten dazu. Aber wie bei jedem Impfstoff muss man zwangsläufig auch die Risiken gegen die Vorteile abwägen. Das ist die ewige Diskussion, wenn eine neue Technik kommt. In dem Fall, gerade bei der Bedrohung, die wir jetzt mit Corona sehen, müssen wir das auf jeden Fall angehen. Ich hätte jetzt auch keine Bedenken, mich damit impfen zu lassen. Eine Gefahr der genetischen Transformation besteht nicht.“
Bei jeder einzelnen viralen Infektion, macht Simon noch einmal deutlich, bringen alle Viren eine Fülle von mRNA in uns ein, bei der Coronaimpfung ist es lediglich eine. „Jeder Virusbefall verändert unsere Zellen im Prinzip genetisch, weil das Virus sein Erbgut unserem hinzufügt“, sagt er und erklärt es anhand des Herpesvirus. „Ca. 80 Prozent der Bevölkerung ist herpesinfiziert. Wir haben alle diesen Virus in uns und er hat sein Erbgut unserem hinzugefügt. Dies ist zwar nicht direkt in unser Genom integriert, aber man kann das als genetische Veränderung bezeichnen. Auch jeder Grippevirus produziert seine eigenen Proteine in unserem Körper, er bringt dazu seine RNA in unsere Zellen ein. Er benutzt uns – wie alle Viren – als Wirt.“ Das sei ein ganz gewöhnlicher Vorgang.
Die Genome-Editing-Methode Crispr/Cas9
Der Begriff der Genmanipulation wird von vielen Menschen als unnatürlich empfunden, steht doch oft die Absicht dahinter, gezielte Veränderungen herbeizuführen oder neue Kombinationen von Erbanlagen zu entwickeln. Die Möglichkeiten der Veränderungen des Genoms bei Pflanzen, Tieren oder Menschen sind dabei vielfältig. Eine 2020 nobelpreisgewürdigte Methode könnte zukünftig dabei völlig neue Wege in der Krebstherapie einleiten. Die beiden Wissenschaftlerinnen Emanuelle Charpentier vom Max-Planck-Institut in Berlin und ihre amerikanische Kollegin Jennifer Doudna entwickelten mit der sogenannten „Genome-Editing-Methode Crispr/Cas9“ zum ersten Mal die Möglichkeit, ein Genom gezielt zu verändern. „Das Crispr Cas-System spezifiziert einfach eine enzymatische Aktivität, indem es sie an einen bestimmten Platz im Genom zieht“, erklärt Simon. Normalerweise arbeiten Nukleasen (Gruppe von Enzymen) unspezifisch, das heißt sie setzen an der DNA an und schneiden wahllos alles klein. „Das Crispr Cas-System funktioniert so, dass es eine Nuklease gibt, die über ein kleines RNA-Molekül spezifiziert wird. Und dieses RNA-Molekül bindet an die DNA und sagt: ,Schneide hier und sonst nirgends!‘ Das ist der Trick dabei.“ Die Vielfalt der potenziellen Anwendungen gründet auf der Tatsache, dass mit diesem technisch nutzbar gemachten Verfahren, einzelne Stellen im Genom gezielt verändert werden können. „Ähnlich wie in einem Text, kann ich Buchstaben entfernen, hinzusetzen oder verändern“, erklärt Simon und sagt: „Das ist ein Prozess, der die Forschung extrem beschleunigt, auch die medizinischen Anwendungen, die sich daraus ergeben.“
Neue Wege in der Krebstherapie
„Wir alle werden einen großen Nutzen durch die Crispr Cas-Technologie erleben, weil es das Werkzeug der Zukunft in der Krebstherapie sein wird“, klärt Simon auf. Man könne anders an den Krebs oder auch an andere Krankheiten herankommen. Wenn im Krebs Wachstumsfaktoren und Proteasen aktiviert seien, die zur Metastasierung führten, habe man nun Möglichkeiten, diese zu attackieren, zu inaktivieren oder zu verändern. „Man kann verschiedene Strategien fahren“, erläutert der Forscher, „man kann versuchen, diese Mutation zu korrigieren, das wäre das einfachste Prinzip. Man kann aber auch die T-Zellen verändern. Dazu schaut man sich den Tumor an, analysiert ihn, kann ihn sequenzieren und schauen, was da drin passiert. Und dann kann man T-Zellen designen und die so programmieren, dass sie Tumorzellen erkennen. Wir können unser Immunsystem benutzen, um die Krebszellen zu finden und abzutöten.“
Simon sieht darin auch langfristig den Vorteil einer personalisierten Medizin, die es ermögliche, einen Krebs mit seinen diversen Unterarten individuell anzuschauen und gezielt für diese eine Person spezielle T-Zellrezeptoren in die T-Zellen einzubringen. Das führe zwar zu einer Veränderung des Genoms der T-Zellen, verändere jedoch nicht die Keimzellen.
Aufklärung ist das A und O
Das Thema Genmanipulation ist auch längst eines außerhalb des Labors: Der Film „Human nature“ fasst viele Pro- und Contra-Argumente zusammen und gibt einen interessanten Überblick. Simon schätzt daran den guten Transfer von Wissen, der sich auch mittlerweile in verschiedenen Fernseh- und Radioformaten zeige. „Wir haben im Moment eine sehr gute Aufarbeitung von diesen wissenschaftlichen Aspekten, die vielleicht zeitlich noch zuschauerfreundlicher gesetzt werden könnten“, sagt er schmunzelnd. „Ich glaube, wir haben gelernt, dass wir in den Transfer von Informationen investieren müssen, weil wir auch nur so die Skeptiker*innen mit ins Boot holen können. Angst und Skepsis kommt nicht aus Unwissen, sondern aus Wissensfragmenten. Man liest nur die Überschrift, hat sofort eine Meinung und packt sie in eine Schublade. Man folgt dem einen und misstraut dem anderen.“ Ein mehr an Basisinformationen und eine individuelle Betrachtung durch eine unabhängige Kommission aus mehr Wissenschaftler*innen und weniger Lobbyist*innen und Politiker*innen, wäre für Simon ein gangbarer Weg.
Uwe Blass
Die komplette Transfergeschichte lesen Sie hier.
Martin Simon studierte bis 2005 an der TU Kaiserslautern und wurde dann 2012 Juniorprofessor an der Universität des Saarlandes. Seit 2018 leitet er die Fachgruppe Molekulare Zellbiologie und Mikrobiologie in der Fakultät für Mathematik und Naturwissenschaften an der Bergischen Universität.