Bergische Transfergeschichten: Die Stimmen-Entdeckerin – Gesangspädagogin Christa Warnke führt Studierende ins Scheinwerferlicht
„Ich hatte immer schon die Sehnsucht, Musik zu studieren“, sagt Warnke. Doch zunächst gilt es, sich um die vier eigenen Kinder zu kümmern, die ein Studium in weite Ferne rücken lassen. Die Wirren des Mauerfalls geben ihrer Leidenschaft dann noch einmal eine ungeplante Wende. Ganz gegen den Strom zieht die Westfamilie aus beruflichen Gründen 1991 nach Dresden. Hier erfährt Warnke die ostdeutsche Kinderversorgung. „Plötzlich waren alle Kinder versorgt. Ich musste nicht mehr Mittagsessen kochen und was weiß ich noch organisieren. Das war für mich was ganz Neues“, erklärt sie, „und dann konnte ich studieren.“ Mit 34 Jahren wagt sie den entscheidenden Schritt und nimmt ein Musikstudium auf.
Vermittlung von Musik- und Körpergefühl
14 Jahre lebt und arbeitet Warnke in Sachsen. An der Hochschule für Kirchenmusik in Dresden lehrt sie die Fächer Gesang und Chorleitung. Dort lernt sie viele hochqualifizierte Musiker*innen kennen, die nach einer rein klassischen Ausbildung auch Popmusik kennenlernen wollen. Warnkes Aufgabe besteht darin, ihnen diesen Stil näherzubringen. „Das Lebensgefühl der Popmusik war ihnen gar nicht vertraut. Sie waren von Kind auf klassisch erzogen. Es waren auch Kruzianer, ehemalige Mitglieder des Dresdner Knabenchors dabei, die waren ganz anders aufgewachsen.“ Warnke vermittelt Musik- und Körpergefühl sowie eine intuitive und direkte Zugangsweise. „Ich glaube, in der Popmusik ist vor allem das Metrum wichtig, zu dem man sich bewegen kann, zu dem man tanzen kann. Ein Körpergefühl ist ja in der Kirchenmusik nicht wichtig und das war für viele eine ganz neue Erfahrung.“
Christa Warnke gilt als Entdeckerin der Band Silbermond. „Ich würde sagen, die haben sich selber entdeckt“, sagt sie bescheiden, „sie wurden erfolgreich, weil es eine glückliche Fügung war.“ Warnke leitete damals im Rahmen einer offenen Jugendarbeit einen Bautzener Jugendchor mit 120 Sänger*innen, ein Projekt, auf das sie heute noch stolz ist. „Wir haben jedes Jahr eine semiprofessionelle Show gemacht“, erklärt sie dazu. Vor der jeweiligen Chorprobe bot sie dazu immer noch eine 20-minütige Einzelbetreuung an. „Da war die Stefanie Kloß immer dabei, immer topvorbereitet, immer super neugierig und talentiert. Sie war wirklich eine von der Interpretation her sehr begabte Sängerin. Sie konnte das, was in ihr war, am besten herausbringen. Ich konnte ihr bestimmt ein paar Dinge mitgeben, ein paar Techniken, aber sie hat ihren Weg ansonsten alleine gemacht.“ Heute freut sich Warnke jedes Mal, wenn sie einen Silbermond-Song im Radio hört. „Und ein bisschen was von mir, höre ich immer noch raus“, sagt sie lachend.
Ein*e Lehrer*in muss auch ein*e Performer*in sein
Alle Musikstudierenden an der Bergischen Universität müssen vor Studienantritt ein Testverfahren absolvieren. „Wir haben uns viele Gedanken darübergemacht und einen Katalog zusammengestellt, nach dem wir das auch beurteilen. Das gilt für Prüfungen ebenso wie für das Eignungsfeststellungsverfahren.“ Einmal eingeschrieben, bereitet Warnke ihre Studierenden auch durch Live-Auftritte auf ihren kommenden Schuldienst vor. Die Leute müssen sich entwickeln und das könne man besonders gut, indem man sich auf der Bühne präsentiere. Skeptisch seien die Studierenden zu Anfang, denn ihre Intention sei ja in erster Linie der Schuldienst. „Aber ein*e Lehrer*in muss auch Unterhalter*in sein, muss Performer*in sein und muss faszinieren können.“ Es sei wichtig in diesem Zusammenhang an Charisma und Präsenz zu glauben, versichert die Pädagogin. Obendrein sei es ein beglückendes Gefühl, schüchterne Menschen dazu zu bewegen, ins Scheinwerferlicht zu gehen, denn das Glück, welches sie hernach erleben, verändere sie. „Die Studierenden lieben das. Man fügt sich zu Bands zusammen, schwitzt, fürchtet und feiert am Ende miteinander. Diese Semesterkonzerte finden seit einigen Jahren im Live Club Barmen statt.“
Die Gesangspädagogin bietet außeruniversitär auch eine sogenannte Singwerkstatt an, in der Laien unter professioneller Leitung ihre Stimme festigen, spüren und entdecken können. „Wir haben alle eine Stimme! Die ist da, die ist nur manchmal versteckt und muss ihren Weg finden“, sagt Warnke. Es gebe diesen Dauerspruch, der besage: Du kannst nicht singen! Dazu sagt sie: „Ich glaube, dass wir unseren Gesang sehr unterdrücken mit unserem intellektuellen, geschäftsmäßigen Wesen. Aber ich muss nur den Zugang finden, dann kommt die Stimme schon.“ Warnke nimmt den Gesangsinteressierten ihre Angst, indem sie selber viel Schabernack veranstaltet, sich verbiegt oder Fratzen schneidet, denn das löse die Menschen, bringe sie zum Lachen. Sehr viel funktioniere dabei über die Atmung. „Singen ist Atmen und durch meinen Gesang oder mein Atmen kann ich ganz viel manipulieren. Dann merken andere, ach, das geht ja bei mir auch.“ Zum Singen ist man bekanntlich nie zu alt und das Schöne für Warnke sei, dass gerade die älteren Sänger*innen oft viel hemmungsloser seien und sich mehr trauten, als die Jüngeren.
Die Pandemie hat die Auftrittsmöglichkeiten aller Künstler*innen bis auf kleine Ausnahmen seit über einem Jahr beendet. Statt Frust und Hoffnungslosigkeit kann Warnke jedoch die Musik jetzt mehr genießen. „Ich finde es sehr traurig, nicht aufzutreten und sehr wenig live zu unterrichten, aber ich genieße die Zeit auch sehr, denn ich habe ja die Musik. Ich liebe es, in meinem Arbeitszimmer zu sein und an meinem Flügel zu sitzen.“ Während ihre Konzertpläne bestehender Programme wieder und wieder verschoben werden, arbeitet sie zu Hause an einem neuen Konzertabend.
Uwe Blass
Die vollständige Transfergeschichte lesen Sie hier.
Christa Warnke ist seit dem Sommersemester 2005 künstlerische Angestellte für das Fach Gesang mit dem Schwerpunkt Jazz, Pop, Rock an der Bergischen Universität Wuppertal.