„Bergische Transfergeschichten“: Was es mit dem Teufel auf sich hat
Im Alten Testament ist der Teufel noch gar nicht so böse. Er ist ein Engel, der einen für den Menschen problematischen Aspekt Gottes verkörpert, nämlich den, des Überwachens und Strafens. Erst im Neuen Testament ist er eindeutig böse. „Der Teufel tritt erstmals in Hiob 1 und 2 auf und wird dort als Spion dargestellt“, beginnt der Theologe, „der unbemerkt das Verhalten der Menschen beobachtet und seine Erkenntnisse dann an Gott weitergibt.“ Dabei müsse man die Geschichte auch immer literaturwissenschaftlich betrachten, denn die Geschichte Satans, der Hiob letztendlich Leid zufüge, sei eine erst später zugefügte Rahmenhandlung, durch die Gott entlastet werde. Ursprünglich greife Hiob Gott als Verursacher von unbegründetem Leid direkt an.
Wo kommt der Teufel eigentlich her?
„Der Teufel ist eine Variante einer in allen antiken Kulturen auftretenden Gestalt, die das Böse verkörpert“, erklärt Wagner. „Unser deutscher Begriff lehnt sich an das tiufal an, das im Gotischen als diavulus, im Lateinischen als diabolus, im Griechischen als διάβολυς erscheint. Einen direkten Bezug zu den biblischen Schriften gibt es zunächst nicht. In den hebräischen Schriften wird Satan – der Begriff ist als ‚Widersacher‘ zu übersetzen – als einer der Söhne Gottes dargestellt. Der Teufel ist ein Unterweltswesen, das der germanischen Mythologie entstammt und mit dem biblischen Satan identifiziert wurde.“
„In der christlichen Teufelsgestalt werden im Laufe der Kulturgeschichte des Abendlandes unterschiedliche Konzepte vereint, die den Ursprung des Bösen, das Einfluss auf das menschliche Leben nimmt, erklären“, fährt er fort. „All diese Konzepte bauen auf der Vorstellung auf, dass es neben der Lebenswelt Gottes, also dem Himmel, und der Biosphäre, in der wir Menschen existieren, einen dritten kosmischen Raum gibt. Dieser wird als Unterwelt mit ihren dann wiederum einzelnen Orten verstanden. Über sie herrscht eine Gottheit – sei es in den semitischen Kulturen Ereškigal, oder in den indogermanischen der Teufel –, die ihre Diener, also die Dämonen, in die Biosphäre aussendet, um Menschen in die Unterwelt zu überführen.“ Egal ob nun die Dämonen durch tödliche Krankheiten oder als wilde Tiere, die den Menschen reißen, agieren – besonders zu beachten sei, dass die jeweiligen Ursachen für das menschliche Leid außerhalb des menschlichen Handelns lägen und der Mensch dementsprechend keine Verantwortung für die Existenz des Bösen trage.
„Schon die vorderorientalischen antiken Kulturen wussten darum, dass es Sphären gibt, die Menschen nicht oder wenn, dann nur temporär wahrnehmen konnten“, sagt Wagner. In einem der Bücher der Weisheit, dem sogenannten Kohelet aus dem 3. Jahrhundert v. Chr., werde schon darüber reflektiert, dass die Wahrnehmungsfähigkeit des Menschen beschränkt sei und ihm der Überblick fehle. „Trotz aller ja auch vielfach erfolgreichen Versuche, Kausalitäten zu verstehen, Einflussfaktoren zu bestimmen und damit Prozesse prognostizieren zu können, stehen wir Menschen immer wieder vor dem Problem, dass unser Wissen beschränkt ist und wir Impulse, die derartige Prozesse auslösen, nicht kennen.“ Daraus resultiere auch heute noch ein Bedürfnis, diese Beschränktheit menschlichen Lebens personalisieren zu können. „Wenn wir dann über dämonische Wesen nachdenken“, fährt er fort, „dann passiert eigentlich dasselbe, dass Wesen auf dieser Erde unterwegs sind, die in dieser dämonischen oder auch göttlichen Sphäre sind, die wir einfach nur nicht wahrnehmen können.“ Diese Fähigkeit von Menschen, in eine andere Sphäre schauen oder hören zu können und auf diese Weise die göttliche Welt wahrzunehmen, höre biblisch in der persischen Zeit auf, sei aber bis heute ein spannendes Thema, an das sich der gesamte Science-Fiction-Bereich anlehne. Der Teufel setzt Grenzen und erinnert uns an unsere Endlichkeit. In Bezug auf die christlichen oder eher abrahamitischen Religionen stimmt der Wissenschaftler dem zu. „Der Teufel ist dann als ein Wesen, dass den Menschen irgendwann mit Leid konfrontieren wird, also Schmerzen mit sich bringt, anzusehen, und die Tatsache des Todes wird damit gleichzeitig personifiziert.“
Obwohl ihn die Menschen immer gefürchtet haben, sehen wir Darstellungen des Teufels an vielen Kirchen und Kathedralen. Dazu Wagner: „Die Darstellung von Teufeln und Dämonen hat in der mittelalterlichen Tradition seinen festen Ort an den Portalen der Kirchen.“ Sie seien zwar sichtbar, zugleich aber unbeweglich, der Mensch spüre lediglich seine Wirkung. „Das Bewusstsein über die Existenz des Bösen ist da“, sagt Wagner, „und wenn wir darüber nachdenken, dass das an den Portalen von Kirchen ist, heißt das ja auch, dass der dahinterliegende Raum vor diesen Wesen geschützt ist.“ Die Tradition der gemauerten Dämonen über Eingangsbereichen hat sich bis in das späte 19. Jahrhundert gehalten. „Das finden wir auch heute noch“, sagt der gebürtige Solinger. „Wenn man durch die Wuppertaler Nordstadt geht, sieht man ganz viele gründerzeitliche Häuser, in deren Portale diese dämonischen Gestalten eingearbeitet sind, so z. B. in der Neuen Friedrichstraße. In die Schwellen des Hauses wird das Abbild eines Dämons eingelegt, damit sich kein anderer dort aufhalten kann.“
Der Teufel: Urangst mit wichtiger Funktion
Laut einer Befragung von 1003 Personen in Deutschland im März 2019 glauben 26 Prozent an die Existenz eines Teufels. Ist das auch im 21. Jahrhundert noch immer eine menschliche Urangst? Wagner sieht darin eher ein beliebtes Erklärungsmuster, denn „sein Wirken kann man ja sowohl mit Katastrophen als auch mit menschlichem Fehlverhalten verbinden“. Anthropologisch betrachtet, sei dies dahingehend problematisch, als dass die Eigenverantwortung des Menschen durch diese Vorstellung faktisch negiert werde.
Der Teufel hat im menschlichen Dasein seit jeher eine wichtige Funktion und das beginnt schon zu persischer Zeit. „In dem Moment, in dem in persischer Zeit sozusagen die menschliche Lebenswelt abgeschottet wird von dem Chaotischen, was aus der Unterwelt kommt, taucht schon die Frage danach auf, woher denn noch das Böse rührt?“, erklärt Wagner. „Und die einzige Ursache für das Böse, die es dann ja noch geben könnte, wäre Gott selber.“ Um das zu umgehen, entstehe in der biblischen Welt eine neue Welt um Gott herum. Die Göttersöhne belebten den Himmel neu. Sie übernahmen eine Botenfunktion und waren in der Lage zwischen dem kosmischen Himmel und unserem Lebensraum hin und her zu fliegen. „Diese Geschichte, dass sie gefallen sind und in Konkurrenz mit den Menschen treten, dass sie das Negative wieder in die Schöpfung zurückgebracht haben, zeugt davon, dass unser Umgang mit Leid, Leiderfahrungen und Katastrophen so ist, dass wir nach Erklärungen suchen!“ Es sei etwas typisch Menschliches, Verantwortung von sich zu geben, aber es verhindere gleichzeitig, dass wir uns unserer Verantwortung so weit bewusst würden, dass wir daraus auch konsequente Handlungen folgen ließen.
Eine dieser Verantwortungen, die man nicht dem Teufel zuschreiben kann, sieht Wagner in der erst kürzlich überstandenen Naturkatastrophe, die Teile von NRW über Jahre zerstört hat. „Wenn ich das theologisch zu erklären versuche, dass wir hier wieder den Einbruch eines systemischen Übels sehen, dann weisen wir davon weg, dass wir Verantwortung für die Veränderung dieser Erde tragen.“
Uwe Blass
Die vollständige Transfergeschichte lesen Sie hier.
Privatdozent Dr. Thomas Wagner lehrt in der Evangelischen Theologie der Fakultät für Geistes- und Kulturwissenschaften das Fach Altes Testament.