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„Bergische Transfergeschichten“: Wie tickt die Kundschaft? Prof. Zielke erforscht Kaufverhalten in Multi-Channel-Systemen

01.03.2021|15:36 Uhr

Monatelang sind die Läden in den Innenstädten nun schon geschlossen – eine von vielen Auswirkungen, die die Pandemie auf das alltägliche Leben hat. Eingekauft wird aber trotzdem. Einmal mehr bangen viele Geschäfte um ihre Kundschaft. Wie genau sich Kund*innen im Kaufprozess verhalten und welche Chancen dabei auch der stationäre Einzelhandel weiterhin hat, das untersucht Prof. Dr. Stephan Zielke, Wirtschaftswissenschaftler und Inhaber der Walbusch-Stiftungsprofessur an der Bergischen Universität. In den Bergischen Transfergeschichten erklärt er, was es mit Multi-Channel-Management und Customer Journeys auf sich hat.

Prof. Dr. Stephan Zielke<br /><span class="sub_caption">Foto UniService Transfer</span><br /><span class="sub_caption">Klick auf das Foto: Größere Version</span>

„Ein Multi-Channel-System ist eine Vertriebsstruktur, bei der beispielsweise ein Händler Produkte über stationäre Geschäfte, den Onlinekanal, oder auch über Kataloge verkauft“, sagt Zielke. „Das sind verschiedene Kanäle, über die das Unternehmen die Produkte vertreibt.“ Das Modeunternehmen Walbusch, mit Sitz in Solingen, sei ein Beispiel für ein solches Unternehmen, das neben rund 40 stationären Geschäften einen Onlineshop betreibt sowie Kataloge versendet. „Ich beschäftige mich mit Kundenverhalten in solchen Systemen. Dabei ist vor allem die ,Customer Journey‘ interessant, also die Reise eines Kunden: von der Entstehung seines Bedürfnisses, über die Informationsphase, in der er sich über die Produkte informiert, und die Kaufphase bis hin zur Nachkaufphase.“ Das Kaufverhalten der Kunden sei dabei sehr unterschiedlich, erklärt der Wissenschaftler, und das sei Gegenstand seiner Untersuchungen.

„Ein Verhalten ist zum Beispiel das Showrooming“, erklärt er. Das bedeutet, dass „Kunden in die Geschäfte gehen, sich beraten lassen, dort erklären, dass sie es sich noch einmal überlegen und dann günstiger in einem Onlineshop bestellen“. Es gebe auch die umgekehrte Verhaltensweise, in der sich Kunden online über Marken und Preise informierten, bevor sie ins stationäre Geschäft gingen, um besser vorbereitet zu sein. Ein sinnvolles Verknüpfen der verschiedenen Kaufphasen zu Gunsten des Unternehmens, durch eine bestmögliche Verknüpfung der Kanäle, ist daher wichtig. Ein Wechseln zwischen Onlineangebot und stationärem Angebot ist für Zielke dabei nicht negativ zu bewerten, solange die Kundschaft bei demselben Anbieter bleibt. Dabei spielten Technologien wie „Click & Collect“ oder „Check & Reserve“ eine zunehmend wichtigere Rolle, erklärt er: „Durch die kann ich Produkte online kaufen oder reservieren, um sie dann vor Ort im Geschäft abzuholen.“ Ebenso böten Shopping Apps neue Möglichkeiten, die Kanäle online und offline miteinander zu verbinden.

Bestellungen über mobile Endgeräte nehmen zu

„Der Hauptteil des Umsatzes findet im stationären Handel statt“, sagt Zielke, das werde oft übersehen. Allerdings wachse der Onlinehandel stetig und es gibt Unterschiede zwischen einzelnen Branchen. Die Onlineanteile sind im Elektronik- und Modebereich stärker als im Lebensmittelsegment, wobei in der coronabedingten Lockdownphase, auch Lieferdienste für Speisen und Getränke einen Schub erfahren hätten.

„Im Onlinebereich ist es ganz interessant, sich einmal anzusehen, über welche Endgeräte eingekauft wird. Da kann man sehen, dass der mobile Bereich stark wächst. Es geht weg von den Bestellungen, die die Kunden am Desktop machen, hin zu Bestellungen über Smartphone und Tablet. Und dann bekommen auch die Shopping Apps eine wichtige Bedeutung“, erklärt er. Die Muster, nach denen Kanäle genutzt würden – also Offlinesuche, Onlinekauf oder eher Onlinesuche, Offlinekauf – legen die These nahe, dass die Kundschaft heute je nach Situation, Bedürfnislage oder Produktgruppe mehrgleisig fährt, und das sei eine wichtige Entwicklung, betont Zielke.

Das Kanalwechselverhalten, wie es der Wissenschaftler nennt, könnte vor allem durch bestimmte Einkaufsmotive beeinflusst sein. „Welchen Wert lege ich auf Auswahl? Wie wichtig ist mir ein Einkaufserlebnis? Wie wichtig sind mir günstige Preise? Wie wichtig ist mir das haptische Erleben, oder wie offen bin ich gegenüber neuen Technologien?“, sind nur einige Fragen, die er auch im Rahmen einer vergleichenden Analyse zwischen deutschen und polnischen Konsumenten in einem noch laufenden DFG-Projekt stellt.

Einzelhandel muss digital aufrüsten

Die Pandemie hat den stationären Einzelhandel lahmgelegt, wobei es hier auch Unterschiede zu beachten gibt. „Wenn wir den stationären Einzelhandel nehmen und einfach mal hier durch die Einkaufsstraßen gehen, so sind ja die meisten Einzelhändler, zumindest die großen Filialisten, bereits Multi-Channel-Händler“, erklärt Zielke und verweist auf Parfümerieketten oder Schuhhäuser. „Die haben alle bereits auch einen Onlineshop. Tatsache ist, dass diejenigen besser durch die Krise kommen, die über einen Onlinehandel verfügen, weil die Kunden einfach umsteigen können. Eine zeitnahe digitale Aufrüstung zu Beginn des ersten Lockdowns wäre sinnvoll gewesen, wobei ich auch um die geringen Ressourcen vieler kleinerer Einzelhändler weiß“, sagt er und appelliert: „Aber ich glaube, es führt kein Weg daran vorbei, den Onlinekanal in irgendeiner Form zu bedienen. Service- und beratungsorientierte Einzelhändler, die dem Onlinekanal skeptisch gegenüberstehen, dürfen nicht übersehen, dass der Onlinehandel auch ein Service für den Kunden ist.“

Für den Kunden, betont Zielke noch einmal, sei online und offline keine Konkurrenz, sondern die Möglichkeit, über mehrere Wege mit den Händlern Kontakt aufzunehmen. „Selbst, wenn ich im Moment nicht stationär verkaufen kann, dann ist es trotzdem wichtig, dass ich den Kontakt zu den Kunden halte, damit ich nach dem Lockdown auch irgendwo anknüpfen kann.“ Das bedeute auch im Zustand der geschlossenen Geschäfte, die Schaufenster ansprechend und aktuell zu dekorieren, denn es gebe immer Laufkundschaft, die sich inspirieren lasse. Und wenn ein Einzelhändler dann auch noch versuche, beispielsweise über Social Media Kontakt zum Kunden zu halten, indem er über neue Produkte oder Trends informiert, dann bliebe er im Gespräch und sage: Hier, ich bin noch da!

Local Commerce Plattformen

Nun gibt es aber auch Kleinunternehmen, die nicht über die Möglichkeiten des Onlinehandels verfügen. Sogenannte „Local Commerce“-Plattformen wie beispielsweise „Online City Wuppertal“ könnten da eine Alternative bieten. „Das Problem bei den Local Commerce Plattformen ist, dass sie oft kein riesiges Budget haben“, bedauert Zielke, „und das macht es schwierig. Auch einzelne Werbeaktionen vor Weihnachten haben da wenig nachhaltige Wirkung. Da muss man sich andere Dinge überlegen.“ Besonders wichtig sei es, eine hohe Frequenz auf der Plattform herzustellen, etwa durch den Ausbau zu einem Cityportal. Neben dem lokalen Einzelhandel findet die Kundschaft hier Angebote und Informationen zu den Bereichen Gastronomie, Gesundheit, Kultur, Verwaltung usw. Die Kundschaft wird hierbei beim Surfen zu Themen wie Gesundheit, Gastronomie, lokalen Nachrichten oder dem Wetter als Synergieeffekt auch auf die Produktpalette des Einzelhandels gestoßen. Das käme dann einem digitalen Stadtbummel gleich.

Alternative Onlineverkäufe über Plattformen wie eBay oder Amazon sind nach Zielkes Einschätzung für kleine, stationäre Einzelhändler eher schwierig, denn im Vergleich zu reinen Onlinehändlern, müsse man, um konkurrenzfähig zu sein, zu deutlich günstigeren Preisen anbieten und vergraule sich dann möglicherweise seine stationären Kunden, die nicht mehr bereit seien, den höheren Preis im Geschäft zu bezahlen.

Die Chance des stationären Einzelhandels heißt Haptik

„Man muss mit der Zeit gehen“, postuliert Zielke, „die veränderten Bedürfnisse der Kunden ansprechen und darauf reagieren. Man muss was tun, auf Digitalisierung reagieren, denn die verschwindet nicht mehr.“ Trotz dieser digitalen Aussichten habe der stationäre Einzelhandel aber ganz andere Vorteile, die nach dem Ende des Lockdowns wieder voll zum Tragen kämen, erklärt der Forscher. „Ein wesentlicher Punkt, warum Menschen nach wie vor in den Einzelhandel gehen, sind das Erlebnis und soziale Aspekte. Mit Freund, Freundin, Frau, Kindern oder der gesamten Familie in die Stadt shoppen gehen, vielleicht noch etwas Essen gehen, oder abends ins Kino, das wird langfristig auch der Vorteil des stationären Einzelhandels sein.“ Zwar hätten viele in der Pandemie gelernt, dass Onlinehandel einfach und bequem sei, aber die Menschen vermissten auch die Stadt mit all ihren Angeboten, sagt Zielke. „Ich bin sicher, dass nach dem Lockdown, wenn man wieder risikolos einkaufen kann, wir auch wieder viele Menschen in den Geschäften sehen werden. Die Städte müssen allerdings auch eine gute Aufenthaltsqualität bieten, also eine gute Mischung aus Einzelhandel, Gastronomie und Kultur statt langweiliger Fußgängerzonen. Hier spielen besonders auch die kleinen Einzelhändler mit ihren individuellen Sortimenten eine wichtige Rolle. Das bringt die Leute in die Städte, weil sie Spaß am Einkauf haben und sich durch die Auslagen inspirieren lassen.“

Uwe Blass

Die komplette Transfergeschichte lesen Sie hier.


Stephan Zielke studierte Betriebswirtschaftslehre an der Kölner Universität, wo er am Lehrstuhl für Handel und Distribution promovierte. Nach der Habilitation in Göttingen war er Associate Professor an der Rouen Business School (heute NEOMA Business School, Frankreich) und der Universität Aarhus (Dänemark). Neben seiner wissenschaftlichen Tätigkeit war er nach seiner Promotion zunächst in der Unternehmensberatung tätig. Seit 2015 ist er Inhaber des Walbusch-Stiftungslehrstuhls für Multi-Channel-Management an der Bergischen Universität.

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