Chemiker Prof. Thorsten Benter über die Faszination Molekül //Eine Bergische Transfergeschichte
Ein Massenspektrometer ist ein Messgerät, welches die Masse von elektrisch geladenen Atomen und Molekülen bestimmen kann. Die zu untersuchenden Moleküle werden dabei in die Gasphase überführt (z.B. durch Desorption oder Verdampfung) und anschließend ionisiert. Das gesamte Verfahren nennt man dann Massenspektrometrie. Allein in der Physikalischen und Theoretischen Chemie sind 25 verschiedenartige Massenspektrometer im Einsatz.
Warum sich Chemiker für Handys interessieren
Professor Benter weiß, wie verwirrt der Laie auf seine Arbeit reagiert und erläutert an zwei Beispielen, in welchen Bereichen dieses besondere Forschungsgerät angewendet wird. „Eine Geschichte, mit der wir uns beschäftigen, ist der Ätzprozess zur Halbleiterherstellung. Jeder von uns hat ein Handy. Aber kaum einer macht sich Gedanken darüber, wo eigentlich die Leistungsfähigkeit dieser Geräte herkommt“, sagt er.
Die kleinen Chips in unseren Mobiltelefonen werden immer leistungsfähiger, weil immer mehr mikrostrukturelle Bauteile integriert werden. „Das heißt aber nicht, dass da irgendetwas hineingebaut wird, sondern man nimmt eine makroskopisch große Struktur, belichtet die mit einem bestimmten Muster, legt dieses belichtete Material in eine Ätzanlage und ätzt hauchdünne Schichten weg. Dann wird es außen erneut belichtet und wieder in die Anlage verbracht. Es kommen so hauchdünne Schichten obendrauf. Und so ist das Ätzen und Deponieren von Substanzen fast schon atomlagengenau.“
Und genau da setzt die Arbeit mit dem Massenspektrometer an. Die chemischen Vorgänge, die zur Entstehung eines solchen Chips führen, arbeiten mit Ätzgasen, die sehr aggressiv sind. Die Massenspektrometrie muss dabei u.a. korrosive Gase tolerieren, die Oberflächen abtragen. Sie muss also in einer sehr harschen Umgebung bestehen können und gleichzeitig noch hochempfindlich und schnell den Endpunkt eines Ätzvorgangs erkennen. „Immer dann, wenn ich auf eine Schicht stoße, die ich nicht angreifen möchte, muss das Massenspektrometer den Vorgang stoppen und erkennen, dass diese Schicht zu erhalten ist. Dann spricht man im Fachjargon von der sogenannten Endpunktbestimmung,“ erklärt Prof. Benter.
Einsatz in der Dopingkontrolle
Ein weiterer Einsatzbereich der Massenspektrometrie ist die Dopingkontrolle. Man hat es hier mit biologischen Flüssigkeiten zu tun, die zunächst aufbereitet werden. „Nehmen wir mal an, die Vorbereitung ist gut gelaufen, dann muss das, was von der Probe übrig ist, zunächst in eine Vortrennstufe hineininjiziert, und dann, nach der Vortrennung, wiederum in das Massenspektrometer eingebracht werden.“ In diesen Verfahren soll das Gerät so sanft wie möglich ionisieren, weil der zu untersuchende Wirkstoff sehr empfindlich reagiert.
Der gebürtige Schleswiger vereint in seiner Arbeitsgruppe die Physikalische Chemie mit der Theoretischen Chemie. Und das aus gutem Grund. „Die Physikalische Chemie möchte gerne in der Welt molekulare Ordnung schaffen“, und weil die Wissenschaftler sich aber nur vorstellen können, was Moleküle tun und wie sie aussehen, diese aber nicht sichtbar oder haptisch greifbar sind, versucht die Theoretische Chemie aus mathematischen Modellen heraus genau das molekulare Bild, dass sich die Forscher aus der makroskopischen Welt ausdenken, berechenbar zu machen: „Und aus diesen Vorhersagen, die die Berechnungen dann erlauben, überprüfen wir, ob unser Bild stimmt.“
Die Warum-Frage
Die Wuppertaler Arbeitsgruppe hat ein bestimmtes Forschungsziel vor Augen. „Bei uns ist das die Ionen-Molekülchemie“, sagt Benter. „Wir haben uns z.B. die Clusterbildung – ein Cluster ist eine Ansammlung von Atomen und Molekülen – als eine Richtung ausgesucht. Es ist nicht so viel über diese Chemie bekannt. In diesem Forschungsziel haben wir bestimmte Fragestellungen. Wir wissen aus verschiedenen Beobachtungen, dass Clusterchemie eine große Rolle in der modernen Massenspektrometrie spielt, wir finden aber dort kaum oder keine Cluster am Detektor des Massenspektrometers. Es muss also etwas mit ihnen passiert sein. Also warum sehen wir sie nicht? Und das ist schon der erste Ansatz. Die Warum-Frage.“
Um an dieser Warum-Frage arbeiten zu können, bedarf es vieler Experimente, die wiederum häufig sehr teuer sind. Und so sind die Wissenschaftler neben ihrer Forschungsarbeit auch immer in Sachen Geld unterwegs, kontaktieren Unternehmen oder öffentliche Förderer. Dabei schaffen sie den Spagat zwischen dem Anspruch der Wirtschaft, die verkaufen will, und dem Interesse der Wissenschaft, die verstehen will, um ihrem Ziel näher zu kommen.
Wenig Angst vor dem Misserfolg
Nicht jedes angestrebte Forschungsziel führt zum Erfolg. Aber ein nicht erreichtes Ziel ist für Benter so gar kein Misserfolg. „Ich habe wenig Angst und Bedenken vor dem Misserfolg“, macht er deutlich. „Wenn wir merken, dass wir auf einem Weg nicht weiterkommen, dann ist das eine Erkenntnis. Sie wird heute häufig nicht positiv bewertet, sondern oft als Scheitern angesehen. Das ist eine vollkommen falsche Wahrnehmung.“
Jede Hypothese muss verifiziert oder falsifiziert werden: „Wenn ich immer nur davon ausgehe, dass die Antwort positiv ausfällt, dass das bestätigt wird, was ich mir schon ausgedacht habe, dann ist es ja die Beantwortung meiner Frage im Vorhinein.“ Darum geht es aber eben nicht. „Das positive Ergebnis ist eine Selbstbestätigung. Das Ergebnis, das überraschender Weise herausgekommen ist, das nicht erwartet wurde, gibt einem die Möglichkeit, völlig neue Wege zu denken und zu gehen. Das passiert häufig, gerade in diesem Forschungsbereich, indem wir arbeiten. Und das macht unheimlich viel Spaß.“
Benter wünscht sich daher auch mehr wissenschaftliche Magazine, die genau diese „gescheiterten“ Ergebnisse veröffentlichen. „Es gibt mittlerweile ganz wenige Journale, die tatsächlich negative Ergebnisse publizieren.“ So müssten viele Experimente an den Universitäten nicht immer aufs Neue gemacht werden. Dazu sagt der Chemiker amüsiert: „Alle schreiben, wie toll sie das machen. Alle schreiben, wie super das gelaufen ist. Keiner schreibt, das hat nicht geklappt, so macht es bitte nicht, denn das wird nicht funktionieren. Das lesen zu können, wäre sehr wichtig für andere Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler.“ Denn der Fundus an Experimenten, die sich anders zur Ursprungshypothese entwickelt haben, ist groß und bietet viele Erkenntnisse.
Die Vision eines Massenspektrometers für zu Hause
Die Massenspektrometrie kann, so Benter, in unzähligen Bereichen eingesetzt werden. Und einen Zukunftstrend meint der Wissenschaftler auch zu erkennen. „Wenn man auf Tagungen unterwegs ist, kann man mittlerweile feststellen, dass es einen ganz starken Trend dahingibt, Massenspektrometer immer kleiner und kleiner zu machen. Die großen Firmen sind sehr dahinter her, dass man Massenspektrometer praktisch am Körper tragen kann, um seine eigene Gesundheit überprüfen zu können. Das ist ganz klar ein Entwicklungsweg, miniaturisierte Geräte überall mit hinnehmen zu können.“
Wissenschaft im Konflikt mit der Politik …
Wissenschaftliche Erkenntnisse sind eindeutig. Daher ist es oft nicht zu verstehen, warum die Politik diese Erkenntnisse nicht umsetzt. Benter benennt dieses Problem mit einem einfachen Beispiel: „Ich selber sitze im Labor und messe irgendwas und sage aufgrund meiner Erkenntnisse: die Menschheit muss aufhören Auto zu fahren. Auf der anderen Seite ist da der Arbeitgeber, der erwartet, dass der Mensch pünktlich zur Arbeit kommt.“ Also was tun?
Für Benter muss zunächst einmal Augenhöhe hergestellt werden. „Ein Mensch, der in der Politik arbeitet, hat eine völlig andere Sozialisation, als ein Mensch, der in der Wissenschaft arbeitet. Ich glaube, in der Politik geht es um viele Dinge, die ein Wissenschaftler sich nicht vorstellen kann und umgekehrt. Politiker schauen auch immer nach den Bedürfnissen der Menschen und sie wollen wiedergewählt werden. Menschen wünschen sich eine bestimmte Lebensqualität. Wissenschaftler haben oft dieses nackte Datum im Auge.“
Der 58-jährige plädiert für Kommunikation: „Wenn wir sagen, wir wollen die Autos abschaffen, dann ist das ohne weiteres einfach nicht möglich, sondern wir müssen Wege finden, wie wir sukzessive zu einer Lösung des Transportproblems für Menschen, die von A nach B wollen, hinkommen. Eine Lösung, die nicht notwendigerweise auf Verbrennungsmotoren, oder auf Individualverkehr setzt, sondern vielleicht auch auf andere Möglichkeiten.“
Und da bleibt der Wuppertaler Wissenschaftler optimistisch. „Als ich noch richtig unterwegs war, zu meinen Greenpeace Zeiten, da hatte man gesagt, 20% erneuerbarer Energie, das kriegen wir niemals hin. Wir sind heute bei 50% und die Prognosen, die wir jetzt bekommen, gehen Richtung 60 bis 70%. Es geht also. Es ist keine Spinnerei. Der Druck muss nur groß genug werden und dann wird der Mensch unglaublich erfinderisch.“
Faszination Molekül
Wer sich für Benters Studiengang interessiert, der sollte fasziniert sein von den Veränderungen in der molekularen Welt. „Wer das in irgendeiner Form fesselnd findet, verstehen zu wollen, warum geschieht makroskopisch etwas, was doch tatsächlich auf molekularer Ebene passiert“, der bringt die erste Grundvoraussetzung mit. „Alles andere“, sagt Benter, „ergibt sich von ganz allein.“
UWE BLASS
Weitere Transfergeschichten unter www.transfer.uni-wuppertal.de/transfergeschichten.html
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Prof. Dr. Thorsten Benter studierte 1982 bis 1987 Chemie an der Christian-Alberts-Universität zu Kiel und promovierte dort 1993. Seine wissenschaftliche Tätigkeit führte ihn 1997 für vier Jahre an die University of California, Irvine. An der Bergischen Universität leitet er seit 2001 die Physikalische und Theoretische Chemie und vertritt sie in Forschung und Lehre.
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