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„Das Bauen im Bestand ist die große Aufgabe, die sich uns stellt.“: Bauingenieur Prof. Dr.-Ing. Felix Huber im Transfergespräch zum internationalen Tag der Städte

31.10.2018|10:00 Uhr

Der „Welttag der Städte“ wurde im Dezember 2013 während der Generalversammlung der Vereinten Nationen ins Leben gerufen und findet jährlich am 31. Oktober statt. Gastgeberstadt in diesem Jahr ist Liverpool. Aus diesem Anlass trifft die Prorektorin für Transfer, Prof. Anke Kahl, den Stadtplaner Prof. Felix Huber über den Dächern Wuppertals, im 16. Stock des Stadtsparkassenhochhauses am Islandufer.


Als Leiter des Lehr- und Forschungsgebietes Umweltverträgliche Infrastrukturplanung und Stadtbauwesen im Fachzentrum Verkehr der Abteilung Bauingenieurwesen der Bergischen Universität, ist der gebürtige Bamberger in dieser Thematik zu Hause. Mit planungspraktischer Erfahrung aus zahlreichen verkehrsstädtebaulichen Projekten beschäftigt er sich aktuell mit Fragen der qualifizierten, städtebaulichen Reaktionen auf die Folgen der demografischen Entwicklung und mit den Anforderungen des Klimaschutzes.

Wuppertal: „Liebe auf den zweiten Blick“

Das dauerhafte Motto des internationalen Welttages der Städte lautet: „Bessere Stadt – besseres Leben“. In diesem Kontext sieht Prof. Huber in Wuppertal eine Stadt mit besonderen Qualitäten. „Wuppertal hat eine sehr interessante Topographie; dieses Kerbtal, das sich über mehrere Kilometer Länge hinzieht, mit 170 Metern Höhenunterschied zwischen dem Tal und den Hügeln, mit einer Bebauung, die sich hier an diesen Hängen hochzieht. Sie hat eine interessante Geschichte, weil sie mal Vorreiter der Industrialisierung war. Und sie hat eine ebenso interessante Sozial- und Glaubensgeschichte, schwärmt er und bewundert den Einsatz der Menschen, die nach starken Kriegsschäden sofort den Wiederaufbau vorangetrieben haben. In den 50er und 60er Jahren sind daher viele Neubauten in der Stadt errichtet worden. Das Spannende daran sei das daraus entstandene Konglomerat einer Bausubstanz aus übereinander und nebeneinander liegenden Schichten von Stadt aus unterschiedlichen Epochen, die der Bauingenieur entdecken, freilegen, erhalten und neu erfinden muss.

Daraus resultiert eine nicht ganz einfache Planungssituation, denn die Stadtplaner müssen permanent im und mit dem Bestand bauen. Sie sollen erhalten und müssen doch manchmal wegnehmen, was nicht mehr den heutigen Anforderungen entspricht, um die Stadt weiter zu entwickeln.

„Nachhaltigkeit“ ist das Stichwort, das auch Eingang in die Stadtentwicklung gefunden hat und im Zuge des Klimawandels mehr und mehr an Bedeutung gewinnt. „Und da sind wir am Anfang“, betont der Wissenschaftler, „eine Stadt transformiert sich nicht in ein bis zwei Jahren, sondern in Generationen. Insofern ist das eine Generationenaufgabe, an der bei uns gearbeitet wird.“

Jeder Bürger ist zur Mithilfe aufgefordert

In diesem Jahr haben die Wuppertalerinnen und Wuppertaler sowohl den Starkregen vom 29. Mai sowie die Hitzeperiode dieses Sommers noch deutlich vor Augen. Und obwohl sich die Bundesregierung gerade erst von ihren Klimaschutzzielen verabschiedet hat, „sind wir Bürger uns im Klaren, dass wir alle sehr viel mehr tun müssen, um die Klimaziele zu unterstützen“, weiß Huber, und nennt die Bereiche, in denen die Städte etwas unternehmen müssen. Da sei zum einen die Frage der Umgestaltung, so dass die Menschen in den Städten die kommenden Starkregen- und Hitzeereignisse besser verkraften können. Hier liegt das Augemerk auf der Minderung des CO2-Ausstoßes, die nur mit einem veränderten Verhalten jedes Einzelnen erreicht werden könne. Weiter zählt er auf: „Im Hochbaubereich können wir z.B. etwas tun, bei den Gebäudeheizungen, bei der Klimatisierung, der Wärmedämmung und natürlich im Gesamtkontext der Energieeinsparung.“

Das Augenmerk liegt auf der Anpassung der Stadt- und Infrastrukturen an die Impacts des Klimawandels. Dass hier auch die Wissenschaft einen entscheidenden Beitrag leisten kann, erklärt der am Campus Haspel tätige Ingenieur, dessen Fakultät durch den Starkregen im Mai selbst besonders hart getroffen wurde. Teile der Dachkonstruktion wurden schwer beschädigt. „Wir selber von der Fakultät,“ sagt er, „haben die Erfahrung gemacht, dass wir in vielen Bereichen gar nicht in der Lage sind, auf solche Ereignisse angemessen zu reagieren. Das, was der Regen kaputt gemacht hat, können wir nicht schnell wieder reparieren. Wir können nicht mehr improvisieren und unsere Gebäude rasch wieder in Betrieb nehmen. Wir können nur noch Neubau- und Maximalstandards und die sind einfach sehr zeitaufwändig und sehr teuer. Da ist eine Menge an Forschungs- und Entwicklungsarbeit nötig!“

Prof. Dr.-Ing. Felix Huber<br><span class="sub_caption">Foto Iris Rudolph</span>

Die grüne Stadt kann noch grüner werden

Wuppertal ist als grüne Stadt bekannt. Aber wie sieht es im Zentrum aus? Mit einem Blick aus dem Sparkassenturm sagt Huber: „Wenn wir hier rausschauen und sehen, wieviel nackte Dachflächen wir haben, sind sicher eine ganze Menge an Möglichkeiten gegeben, um solche Dachflächen grüner zu gestalten, um das Aufheizen der Stadt zu vermeiden“. Um Feinstäube besser zu filtern, stellt er sich einen ausreichenden Baumbestand in den Straßen vor und eine bessere Wasserversickerung wäre durch ein Entsiegeln der Flächen zu erreichen. Zwar weiß er um die Wuppertaler Grünzüge in den Siepen, die sich bis zum Stadtkern im Tal ziehen und kalte, feuchte Luft mit sich führen, warnt aber gleichzeitig vor Bebauungsplänen, die diese Schneisen zerstören könnten.

Die Geschichte der Städte ist 10.000 Jahre alt

Um seine Studierenden umfassend für ihre zukünftigen Tätigkeiten zu sensibilisieren, legt Huber sehr viel Wert auf Stadt- und Infrastrukturbaugeschichte. „Ich quäle damit unsere Studierenden, denn ich denke, man muss sich über die 10.000-jährige Geschichte der Stadt, dem „Erfolgsmodell der Menschheit“, Gedanken machen. Bauingenieure müssen darüber Bescheid wissen, warum mehr als die Hälfte der Menschen in Städten leben und warum es immer mehr Menschen dorthin zieht! Denn viele Dinge, und das ist das Spannende an der Stadtplanung, die wir heute in unseren Planungsleitlinien und Bauvorschriften haben, sind Ergebnisse von irgendwelchen negativen Ereignissen oder Erfahrungen, die wir im Laufe der Geschichte gemacht haben.
Als Beispiele nennt er den Brand von Rom im Jahre 64 nach Christus, der zur Entwicklung von Abstandsregelungen für Gebäude geführt hat, oder die katastrophalen hygienischen Zustände in den Hinterhöfen des alten Berlin, die neue städtebauliche Leitbilder, wie die der Gartenstädte angestoßen haben.

„Das müssen unsere Studierenden kennen, damit man nichts abschafft, was vielleicht ganz sinnvoll ist“, erklärt er und nennt ein Praxisbeispiel, um die Grundlagen der Stadtbaugeschichte zu verdeutlichen. „Wenn Studierende z.B. in mein Seminar kommen, bauen sie zuerst ihre Wasserflaschen vor mir auf. Und dann frage ich: Wenn die Römer irgendwo eine Stadt gegründet haben, was war ihnen dann denn besonders wichtig? In der Regel sehe ich dann Fragezeichen in ihren Augen. Und wenn ich dann auf die Flaschen deute, kommt erst die erkennende Reaktion: ‚Wasser!?!‘ Und daran sieht man, dass die funktionierende Wasserversorgung für diese jungen Menschen heute so selbstverständlich geworden ist, dass ihnen nicht mehr bewusst ist, dass das eine wesentliche Grundlage einer Stadtgründung ist.“

Infrastruktur ist in die Jahre gekommen

Infrastruktur ist die Grundlage für alles Wirtschaften. Infrastruktur kostet Geld! Aber die Politik war bisher knauserig und Ingenieure jammern nicht. Sie haben in der Vergangenheit allzu lange versucht, oft auch mit wenigen Mitteln die Systeme am Laufen zu halten. „Und dann kommen wir an den Punkt, wo wir nicht mehr weiterkönnen,“ stellt Huber fest, „und wir haben plötzlich die Einschränkungen auf einer A1 in Leverkusen, an der Rheinbrücke, und es dürfen dann keine LKW mehr darüber fahren.“

So entsteht plötzlich eine Generationenaufgabe, denn „unsere Infrastruktur ist in die Jahre gekommen,“ sagt er. „Wir haben, Gott sei Dank, über 70 Jahre eine friedliche Entwicklung; das bedeutet allerdings auch, dass wir die Infrastruktur haben alt werden lassen. Und jetzt müssen wir was dafür tun! „Wir haben neue Aufgaben“, erklärt Huber, und beschreibt diesen radikalen Kurswechsel. „Die Aufgaben wandeln jetzt vom Neubau - das war noch die Aufgabe für meine Generation -, hin zur Erhaltung, Erneuerung und Rehabilitation. Das ist eine völlig neue Herangehensweise, und dafür müssen wir unsere jungen Leute ausbilden.“

Und natürlich muss diese neue Infrastruktur attraktiv sein. Aber auch da sieht Huber Ansätze in den Bergischen Städten. Öffentliche Flächen werden schöner gestaltet, nicht mehr zeitgemäße Gebäude ersetzt und die typischen Bergischen Schieferhäuser mit ihren grünen Fensterläden, die die Landschaft ausmachen, sukzessive restauriert.

Dass das Bergische Land sogar Vorbild für die Republik sein kann, erklärt Huber so: „Wir haben riesige Potentiale für die Transformation! Ich nenne hier einmal die Nordbahntrasse, die ja schon für die Republik das Beispiel für bürgerschaftliches Engagement darstellt. Die Bürger haben über Nacht mit Energie und Arbeitseinsatz und wirklich auch mit viel eigenem Geld eine Qualität geschaffen, die einzigartig ist, so dass mittlerweile Fachleute hierher pilgern und es sich anschauen.“

So hofft der Wissenschaftler, dass sich das System weiterträgt und die vernetzten Trassen mit ihren wunderbaren Freizeitmöglichkeiten die Bürger dazu ermuntern, dies auch für die Alltags-Radverkehre auf den normalen Straßen in den Städten einzufordern, um u.a. die Fahrradkultur zu stärken, denn, so sagt er, „es gibt seit den Elektrofahrädern im Grunde genommen auch im Bergischen gar keine Ausrede mehr, nicht mit dem Fahrrad zu fahren.“

Interdisziplinäres Arbeiten bei Energie und Verkehr

Professor Huber sieht die Städte in der Pflicht, in den nächsten Jahren verstärkt in die Straßeninfrastruktur zu investieren, also konträr zu der Ideologie der autogerechten Stadt zu arbeiten. Straßenumgestaltungen zugunsten der Fußgänger und Radfahrer, Umweltspuren für Busse und der komplette Umbau der elektrischen Infrastruktur. „Wir müssen Elektroversorgungsnetze für Elektrofahrzeuge schaffen und die Energie möglichst vor Ort erzeugen, damit die Fahrzeuge aufgeladen werden können“, fordert er, „da sind wir in der Universität auch mit Kolleginnen und Kollegen unterwegs, die das sehr engagiert betreiben. Und das hat dann auch wieder Impacts für die Stadtentwicklung, weil wir Verkehr und Energie zusammenbringen und die Verkehrsarten verknüpfen müssen.“ Die interdisziplinäre Arbeit sieht er deshalb auch als eine der wichtigsten Aufgaben an, auf die er die Studierenden hin ausbilden will.

Durch Projekte näher an den Fragen der Zeit

Und das setzt er mit seinen Studierenden auch wirklich um. Viele Projekte werden den Bürgern direkt vorgestellt. „Das ist immer ein sehr heikler Moment für die Studierenden und auch für mich,“, lacht er, „weil wir nicht wissen, wie die Bürger reagieren! Erst wenn die Studierenden Auge in Auge dem Bürger gegenüberstehen, erkennen sie plötzlich, dass Planung spannend ist, weil sie damit unmittelbar in die Lebenswelten anderer Menschen eingreifen. Sie spüren Betroffenheit und erkennen die Tragweite ihrer Entwurfsideen und Planungen. Dann ist das Studium näher an den Menschen und auch näher an den Fragen der Zeit.“

Vorzeigestadt Rom

Und welche Stadt schneidet in städtebaulicher Hinsicht in Deutschland am besten ab? Da fallen dem Fachmann sofort „Münster oder Erlangen fürs Radfahren und Karlsruhe oder Erfurt für den öffentlichen Nahverkehr“ ein. Aber seine eigentliche Lieblingsstadt liegt mit Rom im sonnigen Italien. „Ich finde es einfach phantastisch, wie sich diese Stadt seit 2500 Jahren immer wieder neu erfindet, in den vorhandenen Gebäuden und Strukturen immer wieder neu einrichtet, sich permanent transformiert. Die Römer, die es ausgehalten haben, eine Weltmacht gewesen zu sein und die jetzt völlig normal damit umgehen können, nur noch eine der großen wichtigen Städte zu sein. Die Römer, die auch eine Kultur an den Tag legen. Also, wenn auf einem Platz, wie dem Campo dei Fiori, Mittag gegessen wird, dann wird der Verkehr zur Seite geräumt, Tische und Stühle aufgestellt und dann sitzt man auf der Piazza in einer großartigen Atmosphäre mit einer tollen bühnenartigen Silhouette und genießt das mediterrane Essen und den guten Wein.“

Ein bisschen mehr dieser Kultur wünscht sich Huber auch hierzulande und sagt nachdenklich: „Das würde ich mir manchmal wünschen, wenn wir ein bisschen mehr Lebenskultur, Mobilitätskultur und ein bisschen mehr Kultur im Umgang miteinander hätten, dann wäre schon viel gewonnen.“

Ein altes englisches Sprichwort sagt schon: Die Menschen, nicht die Häuser, machen die Stadt.

Uwe Blass


Weitere Transfergeschichten sind zu finden unter
www.transfer.uni-wuppertal.de/transfergeschichten.html

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Prof. Dr.-Ing. Felix Huber leitet das Lehr- und Forschungsgebiet Umweltverträgliche Infrastrukturplanung, Stadtbauwesen im Fachzentrum Verkehr der Abteilung Bauingenieurwesen der Bergischen Universität Wuppertal. Er ist Mitglied der Europäischen Akademie der Wissenschaften und Künste.

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