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„Ein Arzt muss keinen Dienstplan schreiben“Eine Bergische Transfergeschichte mit Jun.-Prof. Dr. Sebastian Rachuba

15.11.2019|13:36 Uhr

„Wir wollen Entscheidungsunterstützung liefern“, sagt Dr. Sebastian Rachuba von der Bergischen Universität Wuppertal. Im Rahmen seiner Forschungstätigkeit widmet sich der Junior-Professor am Lehrstuhl für Produktion und Logistik in der Schumpeter School of Business and Economics einer Vielzahl von Problemstellungen aus dem Bereich des „Healthcare Operations Management“. Was das genau bedeutet, erklärt er in der aktuellen Transfergeschichte.

Jun.-Prof. Dr. Sebastian Rachuba<br /><span class="sub_caption">Foto UniService Transfer</span><br /><span class="sub_caption">Klick auf das Foto: Größere Version</span>

„Der englische Begriff ,operations' beschäftigt sich eigentlich mit Aktivitäten zur Leistungserstellung“, erklärt der Juniorprofessor, der seit 2017 an der Bergischen Universität forscht und lehrt. „Im Gesundheitswesen, also ,healthcare', sind es die originären Leistungserstellungsprozesse, die wir uns anschauen. Das heißt: Wie sind die Arbeitsabläufe der Mediziner? Wie funktioniert der Dienstplan? Wer hat welche Botengänge zu tun? Und so weiter.“ Die Aufgabe des Managements sei es dann, die gesamten Prozesse des Systems zu koordinieren. Ob Vorschriftsänderungen, Ärzteeinteilung, Urlaubswünsche oder der Einsatz von Teilzeitkräften – die Liste der Aufgaben ließe sich unendlich fortsetzen und ist dermaßen komplex, dass sie ohne ein entsprechend automatisiertes Grundgerüst nur schwer zu bewältigen ist. Und hier möchte der Wissenschaftler mt seiner Forschung ansetzen. „Das wird ganz oft immer noch mit Stift und Papier gemacht“, erklärt er. In Zeiten der Digitalisierung ginge das aber einfacher. Dabei betont Rachuba, dass diese Aufgabe selbstverständlich nur im gemeinsamen Miteinander von Institutionen und Hochschule erfolgen kann. „Man muss so etwas mit den Anwender*innen zusammen entwickeln.“

Optimierungsmodell und Simulationsmodell

Rachuba arbeitet mit zwei unterschiedlichen Modellen: dem Optimierungsmodell zur Entscheidungshilfe sowie dem Simulationsmodell, welches Prozesse abbilden kann. „Bei Optimierungsmodellen habe ich viele Auswahlmöglichkeiten und muss trotzdem sehr viele Einschränkungen berücksichtigen“, erläutert er am Beispiel der OP-Saalbelegung. „Wenn ich eine Liste von Patient*innen habe, viele Säle und viele Tage, dann wird das Ganze sehr schnell sehr komplex. Dann gibt es so viele Kombinationsmöglichkeiten, aber woher wissen die Entscheider*innen eigentlich, welche davon gut ist: Soll Herr Meier am Montag in Saal 1 oder Saal 2 operiert werden? Mit einem Optimierungsmodell kann ich versuchen, einen Vorschlag zu generieren, indem ich fordere: Finde einen Plan, in dem ich möglichst wenig Überstunden mache, aber trotzdem so viele Patient*innen wie möglich behandele. Das mag dann vielleicht nicht allen Operierenden passen, aber es wäre für das Gesamtsystem unter Umständen sinnvoll.“ So erarbeiten seine Optimierungsmodelle - je nach Vorgabe - kostenminimale, zeitoptimale oder auslastungsmaximale Lösungen.

Rachubas Simulationsmodelle dienen einem etwas anderen Zweck. Im Fall der Notaufnahme können damit beispielsweise bestehende Abläufe visuell abgebildet werden. In Zusammenarbeit mit einem Krankenhaus in England hat er dies bereits erfolgreich eingesetzt: Durch eine neue Vorschrift im Gesundheitswesen musste ein neuer Behandlungspfad, der bei möglichen Herzinfarktpatient*innen mit einem wiederholten Bluttest umgesetzt werden sollte, im laufenden Betrieb geändert werden. „Es gab also neue medizinische Erkenntnisse, die dazu geführt haben, eine Richtlinie aufzulegen. Die Frage war, was passiert, wenn ein Krankenhaus dieser Größenordnung dieses Zwei-Blutprobenverfahren jetzt durchführen würde? Funktionieren die Prozesse noch so, wie sie augenblicklich laufen? Wir haben mit den Anwender*innen zusammen analysiert, dass der Prozess nun anders aussehen muss.“

Die Notaufnahme: ein exemplarisches Beispiel

„Wir versuchen das, was da im realen Leben abläuft, rauszulösen, zu abstrahieren, zu formalisieren. So, dass wir daran Experimente durchführen können. Am Beispiel eines Simulationsmodells können wir nachbilden, wie so eine Notaufnahme funktioniert.“ Dann wird ein anderes Schichtsystem getestet oder man simuliert die Veränderungen durch neue Vorschriften im laufenden Betrieb. Gemeinsam mit den Anwender*innen werden an einem runden Tisch so die möglichen Veränderungsprozesse entwickelt. In diesem geschützten Raum können Möglichkeiten erarbeitet, Stellschrauben gedreht und im Rahmen einer „Was-wäre-wenn-Betrachtung“ Optionen durchgespielt werden, die den Ablauf verbessern. In Bezug auf überlastete Notaufnahmen kann eine Simulation u. a. den sinnvollen Einsatz von Pflegepersonal aufzeigen, welches nicht unbedingt zahlenmäßig erhöht, aber zeitlich anders eingesetzt werden müsste. „Das ist immer der spannende Teil und der mitunter auch aufwändigste. Dann setzt man sich mit den Ärzt*innen und Pfleger*innen zusammen, um zu verstehen, was da in der Notaufnahme alles passiert.“

Auch krankheitsbedingte Ausfälle des Pflegepersonals können in Monats- oder Jahresplanmodellen berücksichtigt werden. „Dann stellt sich mir ein Dienstplan dar, der eventuell – wenn alle da sind – ein bisschen überbesetzt ist“, sagt Rachuba. Die Anwender*innen entscheiden schließlich, ob sie das wollen. „Auf jeden Fall wäre dann auch mal Zeit, sich mit den Patient*innen etwas länger zu unterhalten oder die Zeit für Dokumentationen zu nutzen.“

Die effiziente Planung der Operationssaalbelegung

Bereits in seiner Promotion hat sich der gebürtige Herner damit beschäftigt, wie verschiedene Ziele gleichzeitig berücksichtigen werden können. Für die effiziente Planung der Operationssaalbelegung überprüft er auch heute die Bedürfnisse verschiedener Zielgruppen: Der/die Patient*in möchte möglichst wenig Zeit im Krankenhaus verbringen, das Krankenhausmanagement wünscht sich die zügige Durchführung der Einzelbehandlung und das Personal ist an reibungslosen Abläufen ohne Überstunden interessiert.

„Es ist ja häufig so“, erklärt Rachuba, „die Allgemeinchirurgie hat den Saal 1 am Montag, die Orthopädie den Saal 2. Ein*e Patient*in der Allgemeinchirurgie wird aber selten im OP-Saal der Orthopädie operiert.“ Diese alten Muster gilt es zu hinterfragen. „Wenn man so etwas mehr verschwimmen lässt, kann man die Zeiten viel sinnvoller ausnutzen. Ich habe vielleicht in der Allgemeinchirurgie jemanden, dessen Operation sehr wahrscheinlich nur eine Stunde dauert und in der Orthopädie ist der Saal noch zwei Stunden frei. Den Saal könnte ich ja eventuell auch für die Operation der Allgemeinchirurgie nutzen, hätte somit eine OP mehr, das Personal wäre entsprechend beschäftigt und ich habe trotzdem keine Überstunden. Es passt alles.“

Dass die Theorien an Abteilungsleiter*innen scheitern können, weiß der studierte Wirtschaftswissenschaftler sehr wohl. Kommen die Chefärzt*innen gut miteinander aus, „ist das eine Idee“, sagt er. „Wir können dann mit den Optimierungsmodellen eine Art Vorlage für die Woche im OP als Entscheidungsunterstützung liefern.“ Mit einem Simulationsmodell könne man sogar noch zusätzlich das Jahres-OP-Volumen eines Krankenhauses visualisieren und dann analysieren, ob die Ressourcen sinnvoll eingesetzt werden. Salopp formuliert er: „Ich verschwende weniger OP-Zeiten und Personalzeiten, und die Leute kommen zügig auf den Tisch.“

Wo sollten Rettungswachen sein?

Das Martinshorn schrillt, der Notarztwagen ist unterwegs. Tagtäglich hören und erleben das die Menschen im Stadtverkehr. Sebastian Rachuba stellt auch hier die Frage nach der Effizienz. „Die Grundregel ist immer die: Rettungswagen sollten da positioniert sein, wo auch die Nachfrage ist.“ Klingt eigentlich ganz einfach, doch die Realität sieht anders aus. Einsatzschwerpunkte verschieben sich im Tagesverlauf, was auch dazu führt, dass an den Wachen nicht immer gleich viele Fahrzeuge stehen.

„Wir haben in einer Studie mit Kolleg*innen an der Uni Bochum auch schon einmal die Option untersucht, Rettungsfahrzeuge nicht ausschließlich in Rettungswachen zu stationieren“, berichtet Rachuba. „Wir haben verschiedene Positionen analysiert, z. B. Krankenhäuser, Schulen oder sonstige öffentliche Gebäude, so dass auch eine Toilette oder Sozialräume vorhanden wären. Im Wesentlichen waren das Standorte, wo die Rettungswagen unter Umständen viel besser positioniert wären, weil sie dann näher an den Einsatzschwerpunkten sind“, resümiert er. Auch das Auffüllen des verbrauchten Materials könnte nicht ausschließlich an den Rettungswachen geschehen. „Die flexible Positionierung bietet sicherlich noch viel mehr Möglichkeiten, die gemeinsam mit den Anwender*innen diskutiert werden müssten.“ Mit einer Simulation kann er dies alles außerdem noch visuell verdeutlichen und zeigen, wie viel Zeitersparnis erreicht würde, wenn die Fahrzeuge z. B. nicht immer wieder zum Standort zurückkehren müssten.

Ein Solinger Krankenhaus will Veränderung

Rachuba war einige Zeit als Referent in einem Solinger Krankenhaus beschäftigt. Bestehende Kontakte aus dieser Zeit zu führenden Mediziner*innen im Haus sind für ihn sehr wertvoll. Mit dem Chef der Notaufnahme kann er seine Ideen diskutieren und erhält auch Einblicke in die Sichtweisen der Profis. Aus der Erkenntnis, dass viele Dinge für das medizinische und pflegerische Personal nicht leistbar sind, erwächst der Wunsch nach Verbesserung. Rachuba kann hier mit seinen Modellen ansetzen.

In Solingen hat man die Chancen des Wandels erkannt. Rachuba merkt an: „Es muss der Wille da sein, sich zu trauen, auch einmal so etwas Unliebsames wie Veränderungsprozesse anzugehen. In Krankenhäusern ist das Fachpersonal nicht dafür ausgebildet worden, logistische Prozesse zu verbessern oder komplexe Planungsaufgaben zu lösen. Ein Arzt muss keinen Dienstplan schreiben. Das könnte man automatisieren. Außerdem sind das keine medizinischen Tätigkeiten. Die kann man Leute machen lassen, die das besser können, die Zeit dafür haben und sich damit auskennen. Auch hier ist natürlich der Dialog wesentlich für den Erfolg und die Unterstützung der Entscheidung. Wenn Abläufe reibungsloser funktionieren, Entscheidungen dadurch abgenommen werden, weil sie automatisiert aus dem Computer kommen, wird es einfacher.“

Das digitale Krankenhaus der Zukunft wird die Arbeit erleichtern, darüber haben jüngst Entscheider*innen aus Krankenhäusern beim zweiten Innovationsforum Krankenhaus im Deutschen Ärzteverlag in Köln diskutiert. Künstliche Intelligenz wird Arbeitsprozesse erleichtern, erfordert aber auch entsprechende Schulungen der Mitarbeiter. Eine digitalisierte Triagierung der Notaufnahme, also die Priorisierung der medizinischen Behandlung von Patient*innen, oder eine webbasierte Dienstplanung versprechen eine höhere Arbeitszufriedenheit der Mitarbeiter*innen. Optimierungs- und Simulationsmodelle, wie sie Sebastian Rachuba entwickelt, könnten diesen Fortschritt effektiv unterstützen.

Uwe Blass



Sebastian Rachuba studierte Wirtschaftswissenschaft an der Ruhr-Universität Bochum, wo er 2013 auch promovierte. Darauf folgte eine einjährige Tätigkeit als Referent des Medizinischen Direktors am Städtischen Klinikum Solingen. Von 2014 bis 2017 war der gebürtige Herner Postdoc an der Medical School der University of Exeter. Seit 2017 ist er neuer Juniorprofessor für BWL, insbesondere Operations Management, an der Schumpeter School of Business and Economics der Bergischen Universität Wuppertal.

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