Universitätskommunikation – Presse- und Öffentlichkeitsarbeit

Eine Bergische Transfergeschichte mit dem Industrial Designer Prof. Martin Topel:„Design hat die Aufgabe, die dingliche Umwelt mit dem Menschen zu verbinden“

26.04.2019|11:51 Uhr

Am Welttag des Designs wird den Designern weltweit gedacht. Die Berufsvereinigung der Designer – die AIGA – hat am 27. April 2006 den World Day of Design – den Weltdesigntag – in den USA eingeführt. Alle Tätigkeiten rund um das Thema werden an diesem Tag gefeiert. Dazu traf die Prorektorin für Finanzen und Transfer, Prof. Dr.-Ing. Anke Kahl, den Wuppertaler Industrial Designer Professor Martin Topel an einem ganz besonderen Ort: Der Design-Sammlung Schriefers, untergebracht im Gebäude I auf dem Campus Grifflenberg.

Design-Sammlung Schriefers: Prof. Martin Topel im Gespräch mit Prorektorin Prof. Dr.-Ing. Anke Kahl.

„Design ist für mich die perfekte Funktion, eingebettet in ein komplett schlüssiges, stringentes und ästhetisches Konzept“, sagt der seit 2000 an der Bergischen Universität lehrende Industrial Design-Professor.

Die sehenswerte Design-Sammlung der Bergischen Universität

1987 stiftete der Maler Professor Werner Schriefers einen Teil seiner Sammlung der Universität Wuppertal, um sie den Studierenden und der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Die Sammlung zeigt mehr als 5.000 richtungsweisende Produkte der industriellen Formgebung, vorzugsweise aus den Bereichen Büro, Haushalt und Interior-Design. Wuppertal beherbergt also eine ganz besondere Sammlung: „Das hier ist ein unglaublicher Fundus, der deutschlandweit einmalig ist“, so Topel.

Der Kern der Sammlung besteht zu ca. 50 Prozent aus Exponaten der Sammlung Schriefers aus den 1950er, 1960er und Anfang der 1970er Jahre. „Wir haben aber auch extrem spannende Exponate aus den 1920er und 1930er Jahren, also sprich Bauhaus, Neues Frankfurt. Herausragend sind ein komplett original erhaltenes Modell der Frankfurter Küche von der österreichischen Architektin Margarete Schütte-Lihotzky oder auch Originale von Ferdinand Kramer, Mies van der Rohe und Mart Stam. Möbel, Stuhlentwürfe, Öfen, also ein ganz breites Spektrum, aus denen man die Entwicklungen der Produktgestaltung aber auch den gesellschaftlichen Kontext von Produkten wunderbar ablesen kann. Und wir sind in der Lage, aufgrund der großen Zahl der Exponate, immer neue Dinge in den Mittelpunkt zu stellen, sodass man regelmäßig hierherkommen kann. Alle sechs bis sieben Monate ändert sich das Bild der Ausstellung vollständig.“

Der Beginn des Systemmöbels

Was ein Designmöbel so ausgezeichnet werden lässt, erklärt der geborene Münchner an einem Sesselmodell der 1960er Jahre. „Das Besondere an diesem Sessel aus dem Programm 620 von Dieter Rams, welches er 1962 für Vitsoe entworfen hat, ist, dass sie die Vorläufer von System- oder auch Modulmöbeln sind. D.h., diese Möbel waren modular aufgebaut und wurden zerlegt versendet. Da gab es Sessel, Fußschemel, Zweisitzer, Dreisitzer, und alle wurden aus den gleichen Bauteilen zusammengesetzt. Es gibt ein einziges Werkzeug, dass in eine seitlich sichtbare Doppelschraube eingreift, die also auch eine visualisierte Verbindung darstellt. Sowohl der Möbelhändler als auch der Kunde waren in der Lage, die Möbel zu verändern und modular zu erweitern.“ Diese Idee von Versandmöbeln, erläutert er weiter, hat die Firma Ikea Jahre später perfektioniert. Das Neue an diesem Sesselprogramm war, dass der Designer sich nicht einem einzelnen skulpturalen Objekt zugewandt hat, sondern erstmalig modular und systemisch gedacht hat.

 

Kunst und Design

Eine Unterscheidung zwischen den Begriffen Design und Kunst will Martin Topel lieber spezifizieren. „Ich würde nicht das Design mit der Kunst vergleichen, sondern ich würde das Kunstobjekt mit dem Produkt vergleichen.“ Weil Kunst seiner Ansicht nach „alles sein darf und nichts muss“, in völliger Freiheit von Duplizierbarkeit, Material, Verfahren und Ausdruck entsteht, liegt für ihn der maßgebliche Unterschied in der dezidierten Aufgabe und Funktion, die ein Produkt aufweisen muss. „Der Designer hat die Aufgabe innerhalb einer klaren Spezifikation, einer Begrenzung, die maximale Innovation, die maximale schöpferische Kraft zu entfalten. Das ist zwar einengend, aber ich glaube, es ist die Kunst des Designs, sich optimal innerhalb dieser Restriktion auszudrücken.“ Was beide Begriffe aber auch eint, ist die Tatsache, dass sowohl der Künstler als auch der Designer sehr viel von sich preisgeben und sich damit exponieren. Beides, das Kunstwerk, als auch das Produkt müssen sich letztendlich am Markt behaupten.

100 Jahre Bauhaus

Kein Interview mit einem Designer kann 2019 das große Thema Bauhaus ausschließen. In diesem Zusammenhang liest man immer wieder, dass Design die optimale Verbindung von Kunst und Handwerk sei. Topel fällt da sofort Walter Gropius, der Begründer des Bauhauses, ein. „Er wollte die Kunst aus der Salonkunst herausholen und hat die Verbindung zwischen Handwerk und Kunst proklamiert. Für ihn war wichtig, dass alle Gestaltung letztendlich den Ausdruck innerhalb der Architektur findet und alle anderen Gewerke und Handwerke sich dann in diese Architektur einfinden: Möbel, Textilien, Dinge des täglichen Gebrauchs etc.. Und diese handwerkliche Komponente, die sich dann auch in der Grundlehre des Bauhauses ausgedrückt hat, war für ihn elementar wichtig.“

Ein Paradebeispiel dieser Kombination von Kunst und Handwerk sieht der Wissenschaftler in einem Stuhlmodell des Aachener Architekten Ludwig Mies van der Rohe mit der Bezeichnung MR 10, den die Schriefers-Sammlung auch ausstellt.

„Das ist ein Freischwingersessel mit dem berühmten Eisengarn. Hier kommen ganz viele Aspekte dieser Überlegungen zusammen. Es war zum ersten Mal möglich, Freischwingerstühle zu fertigen, weil es nahtlos gezogene Rohre gab, die aus den Bedürfnissen des Flugzeugbaus entstanden sind. Das hat dann als erster Mart Stam umgesetzt mit seinem eng abgekanteten Freischwinger und dann eben Mies van der Rohe mit dem stark gewölbten Kurvenradius, der mehr Federung in den Sessel bringt. Plus die handwerkliche Fähigkeit, ein Gewebe zu finden, dass den Beanspruchungen standhält. Das Eisengarn ist ein mehrfach gezwirntes und paraffiniertes Baumwollgarn mit einem dreilagige Gewirk, dass nahezu unkaputtbar ist und auch direkt an dem Metall über Jahre scheuern und reiben konnte, ohne Schaden zu nehmen. Damit ist ein fast unzerstörbares Möbel entstanden, dass benutzt wird und dass sie bis heute ganz normal kaufen können.“

Ausstellung für Herbst geplant

Für den Herbst ist auch in der Design-Sammlung der Bergischen Universität eine Retrospektive geplant, über die der 57-jährige verrät: „Das wird eine spannende Ausstellung, die von Thomas Schriefers, dem Sohn von Werner Schriefers kuriert werden wird. Es geht dabei um die Folgen des Bauhauses in der Weiterführung der Werkkunstschule in Wuppertal. Wir zeigen auf, was in den 1950er und 1960er Jahren dann weiter hier am Standort Wuppertal passiert ist.“ In über 100 Exponaten in Form von Produkten, Bild- und Textdokumenten zeigt die Ausstellung die Auswirkungen und Umsetzung des Bauhauses in Wuppertal.

Design im 21. Jahrhundert

Und wie geht es weiter? Wie wird sich die Entwicklung des Designs im 21. Jahrhundert verändern? „Zunächst hat sie die Aufgaben wie in den letzten hundert Jahren auch: die dingliche Umwelt mit dem Menschen zu verbinden, benutzbar und verständlich zu machen“, sagt Topel.

Was sich jedoch jetzt schon geändert habe, sei die Zusammenlegung unterschiedlicher maschineller Fähigkeiten in nur einem Gerät. „Ich habe das mit Studierenden schon durchgespielt. Hier in der Sammlung Schriefers habe ich ihnen dazu folgende Aufgabe gestellt: Nutzt euer Smartphone und klebt für alle Funktionen, die vom Smartphone übernommen worden sind, einen roten Punkt auf das Produkt. Am Ende klebten bei knapp 60 Prozent aller Produkte rote Punkte. Es waren Schreibmaschinen, Rechenmaschinen, Uhren, Audiogeräte, Radios, Plattenspieler, also informations-, musik- und bilderzeugende Produkte, die alle mittlerweile vom Smartphone subsummiert werden. Das hat sich geändert.“

Im Gegensatz zu früher „können wir mittlerweile Maschinen entwickeln, die ihre eigenen Ersatzteile produzieren“, erklärt Topel. „Wir können Kunden hochindividualisierte Produkte in seriellen Fertigungsprozessen anbieten. Wir haben auf der anderen Seite durch die Digitalisierung immer mehr Mensch/Maschinen-Schnittstellen, die sich verändern, weil durch Sensorik und erweiterte Eingabemöglichkeiten wie Gesten- oder Gesichtserkennung, Touchpoints wegfallen. Es ist eine große Herausforderung für das Design, dem Produkt noch eine beherrschbare Haptik zu geben. Und wir erleben auch – und das geht auch schon seit 100 Jahren so – ein immer wiederkehrendes Verlangen nach Körperlichkeit, nach Anfassqualität“.

Topel erklärt es am Marktführer Amazon. „Auch dieses Unternehmen fängt nun an, Läden zu bauen. Erst zerstört der Versandhandel den Einzelhandel und jetzt baut er den Einzelhandel wieder auf, weil er genau weiß, die Leute wollen Kontakt haben mit dem Produkt. Bei Kindern kennen wir das. Kinder begreifen alles mit den Händen.“ Ein weiterer Beweis seiner These sieht er ganz konkret bei der Beobachtung von Kunden im Einzelhandel. „Wenn wir z. B. in den Elektrohandel gehen, sehen wir, wie die Menschen Produkte begreifen. Sie gehen hin, sie berühren sie, sie wollen wissen, ist es Kunststoff, ist es Metall, wie schwer ist das Teil, wie leicht drehbar ist der Knopf, welches Geräusch macht eine Klappe usw.“

Produktgestaltung auf den Punkt gebracht

Wuppertal ist eine Stadt, in der viele Firmen ansässig sind, die gutdesignte Produkte vertreiben. Topel kennt sie alle. An einem ganz bestimmten Produkt macht er noch einmal die besondere Aufgabe des Designs deutlich. „Der Seitenschneider von Knipex, bringt für mich alle Tugenden auf den Punkt: also eine absolute Funktion, eine einwandfreie Schneidleistung vom ersten bis zum tausendsten Schnitt. Das Teil liegt ergonomisch perfekt in der Hand, es ist extrem robust, hat eine Schutzklassenkennzeichnung, hat eine Zuordnung innerhalb des Produktportfolios, ein durchgängiges Design und einen perfekten Markenauftritt. Da sind alle Tugenden im Rahmen eines Handwerkzeuges perfekt umgesetzt. Der Anspruch an zeitgenössische Produktgestaltung ist absolut auf den Punkt gebracht.“

Von daher sieht Professor Topel auch für zukünftige Designer eine hoffnungsvolle Zukunft. „Insofern mache ich mir keine Sorgen. Wir werden auch die nächsten 100 Jahre mit dem Industrial Design sehr wichtige Aufgaben zu erfüllen haben.“

UWE BLASS

Weitere Transfergeschichten unter www.transfer.uni-wuppertal.de/transfergeschichten.html

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Martin Topel studierte bis 1989 an der FH Darmstadt im Fachbereich Industriedesign. Danach gründet er zwei Büro-Niederlassungen in Stuttgart und Darmstadt bevor er 2000 eine Professur für Investitionsgüter-Design und Produktsysteme an der Universität Wuppertal übernimmt.

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