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„Fast alle meine Geschichten entstehen irgendwie in der Wirklichkeit“: Transfergespräch mit dem Autor Wolfgang Hohlbein und der Literaturwissenschaftlerin Prof. Dr. Anne-Rose Meyer

05.03.2019|09:30 Uhr

Kaum zu glauben, aber vor 385 Millionen Jahren war die Kluterthöhle Teil eines tropischen Meeres. Geographische Prozesse falteten den Meeresboden zu einem gewaltigen Gebirge auf. Durch weitere Hebungen der Erdkruste und die Eintiefung der Täler sank der Wasserspiegel, sodass die Höhle heute trockenen Fußes betreten werden kann. In 380 Gängen von fast 5800 Metern Länge zeigen sich unterirdische Seen, bizarre, geheimnisvolle Gänge und die versteinerten Lebewesen des ehemaligen Riffes, in Form von Schwämmen oder Korallen. Die Luft in der Kluterthöhle gilt als besonders heilkräftig und bietet anerkannte Therapiemöglichkeiten bei Atemwegserkrankungen und Allergien. An einer besonderen Höhlenstation, die für öffentliche Führungen nicht zugänglich ist, trifft die Prorektorin für Planung, Finanzen und Transfer, Prof. Dr.-Ing. Anke Kahl, die Literaturwissenschaftlerin Anne-Rose Meyer und den Autor phantastischer Literatur, Wolfgang Hohlbein, zu einem Gespräch.


Mehr als 43 Millionen Bücher hat er verkauft, schafft es immer wieder, Menschen gedanklich in fremde Welten zu entführen und trotzdem behandelt ihn die Literaturwissenschaft oft mit Geringschätzung: Wolfgang Hohlbein. Nicht so die Bergische Universität. Die Literaturwissenschaftlerin Prof. Dr. Anne-Rose Meyer, die selber Seminare wie „Unsterblich: Vampire in der Literatur und im Kinder- und Jugendbuch" gibt, wurde auf den Neusser Autor durch einen Studenten aufmerksam, dessen Hausarbeit einen Roman Hohlbeins zum Thema hatte. Es entwickelte sich ein Kontakt und Meyer, die das Interesse ihrer Studierenden an Themen wie Horror und Fantasy kennt, lud den Schriftsteller an die Bergische Universität ein. Die Vorbereitung gestaltete sich nicht ganz einfach, hat Hohlbein doch insgesamt mehr als 200 Bücher geschrieben. „Ich habe versucht, mir aus jedem Bereich ein, zwei Bücher herauszugreifen um dann über Strukturen und Inhalt etwas sagen zu können“, sagt die engagierte Dozentin.

Für Wolfgang Hohlbein selber, in dessen Romanen die Unterwelt oft eine entscheidende Rolle spielt, ist die Kluterthöhle erst die zweite Grotte, die er tatsächlich besucht hat. Und daraus entwickelt er auch sofort wieder neue Ideen. „Ich habe gerade unseren netten Höhlenführer gefragt, seit wann die Höhle bekannt ist, und er sagte, vor ungefähr 400 Jahren, genau wisse man es nicht, wurde sie wohl entdeckt. Und ich hatte sofort die Bilder im Kopf, wie es damals gewesen sein muss. Keiner wusste, wie der Gang weitergeht. Es hätte ja auch nach fünf Metern Schluss oder ein Abgrund sein können oder aber ein Labyrinth, so dass man nicht mehr herausfindet. Und allein die Vorstellung, hier nur mit einer Fackel hereinzugehen, nicht zu wissen, was einen erwartet, die würde mir auch ein bisschen Angst machen. Aber es hat was ungeheuer Faszinierendes. Nicht ohne Grund ist eines meiner liebsten Bücher ‚Die Reise zum Mittelpunkt der Erde‘ von Jules Vernes.“

Wolfgang Hohlbein<br><span class="sub_caption">Klick auf das Foto: größere Version <br />Foto: ZIM</span>

„Fast alle meine Geschichten entstehen irgendwie in der Wirklichkeit“

Zu seinen Genre-Themen gehören u.a. Fantasy, Phantastik, Historisches, Horror, Science-Fiction, aber auch Abenteuer- und Kinderbücher. Trotz dieser Vielzahl unterschiedlicher Themen spielen fast alle seine Geschichten in der Wirklichkeit.

„Egal, wie phantastisch sie sind, die meisten Geschichten fangen an, indem ich etwas sehe, höre oder Fragen stelle. Ich merke es auch hier schon wieder, wenn man sich in diese Umgebung begibt, dann kommen diese Bilder bei mir ganz von selber. Dann fallen mir auch keine Science-Fiction-Geschichten ein, die auf fremden Planeten spielen, dann wird dieses Urtümliche wieder in mir geweckt.“

Hohlbein liebt das Rätselhafte und erklärt es auch sofort. „Ich habe mir schon vor langer Zeit abgewöhnt, alles was ich sehe, als selbstverständlich anzunehmen. Also wir sitzen jetzt hier und machen ein Interview. Aber was passiert, wenn wir hier nicht mehr raus können? Nicht weil der Eingang verschüttet ist, sondern weil der Gang plötzlich da hinten aufhört? Auch wenn wir ganz sicher sind, wir sind doch von links gekommen. Auf einmal führt der Weg aber nach rechts und eine Treppe hoch, die ich zumindest vorhin nicht gesehen habe. Das sind Sachen, die ich mich frage. Es müssen nicht die großen Rätsel der Geschichte sein, der Sinn des Lebens etc., sondern die Kleinigkeiten, die unser tägliches Leben bestimmen.“

„Ich habe diesen Beruf von Anfang an gehasst“

„Jeder wird mit der Fähigkeit geboren, eine einzige Sache außerordentlich gut zu können, aber die Tragödie des Lebens ist, dass die meisten niemals herausfinden, was ihre Begabung ist“, hat er einmal gesagt und macht es auch konkret an seiner Person fest. „Ich habe Industriekaufmann gelernt, weil meine Eltern das wollten“, erzählt er, „das wird heute kaum einer mehr glauben, aber es gab einmal eine Generation, die hat gemacht, was die Eltern wollten. Ich habe diesen Beruf von Anfang an gehasst. Ich habe mich dann auch in Phantasiewelten geflüchtet, habe angefangen, mir Geschichten auszudenken, auch zu schreiben.“

Hohlbein ist überzeugt, dass jeder Mensch ein besonderes Talent hat. „Manches ist vielleicht auch nicht zu gebrauchen für das normale Leben. Aber wenn man etwas wirklich gern macht, mit Herzblut, dann ist man auch gut da drin. Und dann spielen auch das Schicksal, der Zufall oder die Willkür eine Rolle, ob man die Chance bekommt, etwas daraus zu machen. Also ich habe Gott sei Dank diese Chance bekommen und das ist wie ein 6er im Lotto, da muss ich mir gar nichts drauf einbilden“, und resümiert, „alle Leute, die ich kenne, die wirklich glücklich in ihrem Beruf sind und auch Erfolg haben, die machen es gerne.“ Sein Credo: „Ich behaupte immer, es ist ein Drittel Talent, ein Drittel Glück und ein Drittel Fleiß. Ohne eins von den dreien geht es nicht. Aber man darf das Glück oder den Zufall oder die äußeren Umstände auf die man keinen Einfluss hat, nicht unterschätzen.“

Deutsches Schubladendenken

Jahrelang hat sich Hohlbein gegen den Titel „Fantasy Autor“ gewehrt, den ihm die Presse zugeteilt hat, und benennt sein Werk lieber als phantastische Literatur. „Dieses Schubladendenken, das ist so typisch deutsch“, sagt er. „Also es kommen Marsmännchen vor, dann ist es Science-Fiction, wird gezaubert, dann ist es Fantasy, und ist eine Hexe drin, dann ist es ein Märchen. Ich glaube, die Zeiten sind vorbei, wo man das in so Schubladen stecken und Etiketten draufkleben musste. Phantastische Geschichten, das sind sie für mich.“

Auf die Frage, wo die Attraktivität des Horrors in Zeiten von Blockbuster-Filmen wie „Die Nonne“ und „Halloween“, die jeweils über 100 Millionen Dollar einspielten, herkommt, sagt er lächelnd: „Das weiß ich nicht. Wenn ich das wüsste, würde ich ein schlaues Buch drüber schreiben“, und erklärt seine Vorstellung dann doch anhand des „Bösen“. „Das Böse hat ja eine gewisse Faszination. Es ist ja kein Zufall, dass von den großen Filmhelden die meisten die Bösen sind. Der Klassiker ist „Star Wars“. Der eigentliche Held ist Darth Vader, der Bösewicht. Und da gibt es ganz viele. Also mein Lieblingsbuch von meinen eigenen Büchern ist „Hagen von Tronje“, die Nibelungengeschichte. Da ist der Held, wie der Titel schon sagt, der vermeintliche Bösewicht. Also ich glaube, dass wir alle so eine Affinität zum Bösen haben. Wer hat denn nicht schon mal davon geträumt, seinem Nachbar einmal heimzuzahlen, dass sein Hund ständig in seinen Garten pinkelt oder so was. Man tut es dann nicht, aber so Rachephantasien haben ja auch was. Das gebe ich auch ganz offen zu. Es macht auch Spaß.“

Hohlbein schreibt nur nachts

Die Tatsache, dass Hohlbein vornehmlich nachts schreibt, hat nichts mit der Vorstellung zu tun, man könne das Grauen dann besser formulieren, sondern ist der früheren, familiären Situation geschuldet. „Wir hatten eine kleine Wohnung, aber schon zwei Kinder. Es war also an tagsüber arbeiten gar nicht zu denken. Ich habe das dann abends gemacht, wenn die Kinder ins Bett gegangen sind und meine Frau so langsam auf der Couch einschlief.“ Eine pragmatische Lösung, die sich seit über 30 Jahren bewährt.

Und auch schriftstellerischen Experimenten ist Hohlbein nicht abgeneigt. Zur Kritik seines neuesten Romans „Killer City“ erklärt er, dass dieser Roman ursprünglich als mehrteiliger Episodenroman angelegt, vom Verlag dann aber gecancelt wurde. Hohlbein behielt das Format in der nunmehr klassischen Romanform dennoch bei. „Das war auch ein Experiment für mich und ich werde das jetzt nicht so exzessiv wiederholen, aber ich bereu das auch nicht.“

Wolfgang Hohlbein, Prof. Dr. Anne-Rose Meyer und Prof. Dr.-Ing. Anke Kahl (v.l.)<br><span class="sub_caption">Klick auf das Foto: größere Version <br />Foto: ZIM</span>

„Das Publikum ist mir ganz wichtig“

Kritiken liest er nicht, und Presse und Feuilleton gehen recht freundlich mit ihm um. Doch sein Publikum ist ihm am wichtigsten. „Was habe ich von den tollsten Besprechungen, wenn den Leuten die Bücher nicht gefallen? Ich habe ganz viele Preise bekommen. Dabei sind etliche Publikumspreise wie zuletzt der Bookstar, die wirklich von Kindern, Jugendlichen oder vom Publikum ausgelobt worden sind, und die sind viel wichtiger für mich als wieder ein Literaturpreis von irgendeiner Zeitung. Das Publikum ist mir ganz wichtig.“

Den Nutzen zeitgenössischer Literatur für Studierende sieht Prof. Dr. Meyer in der Einladung an den deutschen Schriftsteller voll erfüllt. „Ich denke, es ist ganz wichtig, sich mit Literatur auch zu beschäftigen, die jetzt von vielen gelesen wird“, sagt sie. „Es ist unheimlich spannend, zu sehen, wie sich einfach alte Geschichten, ob das der ‚Ring der Nibelungen‘ ist oder ob das Vampirgeschichten sind, verändern. Wie ein Autor von heute mit diesem Erbe umgeht, was er für neue Akzente setzt und was das mit unserer gegenwärtigen Gesellschaft zu tun hat. Deswegen ist Wolfgang Hohlbeins Werk auch unbedingt interessant, im Rahmen von Seminaren besprochen zu werden.“

Der US-amerikanische Astronom Carl Sagan sagt: „Fantasie trägt uns in ungeahnte Welten. Ohne sie gehen wir nirgendwo hin.“ Weiterhin viel Erfolg, Wolfgang Hohlbein.

Uwe Blass

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Wolfgang Hohlbein, Jahrgang 1953, ist ein deutscher Schriftsteller in den Genres Horror-, Science-Fiction- und Fantasyliteratur. Mit rund 43 Millionen verkauften Büchern zählt er zu den erfolgreichsten Autoren Deutschlands. Sein Durchbruch gelang ihm 1982 mit dem zusammen mit seiner Frau verfassten Roman Märchenmond.[2] Wolfgang Hohlbein lebt in Neuss.

Prof. Dr. Anne-Rose Meyer studierte Allgemeine und Angewandte Sprachwissenschaft, Neuere Germanistik und Romanistik an der Universität Bonn und promovierte ebd. 2000. Meyer habilitierte sich 2009 an der Universität Paderborn. 2018 wird sie zur apl. Professorin an der Bergischen Universität ernannt.

Weitere Transfergeschichten sind unter www.transfer.uni-wuppertal.de/transfergeschichten.html zu finden.

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