Homeoffice statt Büro – Wie die Corona-Krise die Arbeitswelt beeinflusst
Wie verändert die Corona-Krise und das damit für viele Arbeitnehmer*innen einhergehende Homeoffice die Arbeitswelt?
Diestel: Die Beantwortung dieser Frage wäre sicherlich ein etwas gewagter Blick in die Glaskugel, aber wir versuchen gerade über eine Studie solche Veränderungen und Zusammenhänge im Detail zu ergründen. Ungeachtet seiner Möglichkeiten in der Gestaltung der Arbeitsabläufe ist Homeoffice in gewisser Weise ambivalent. Einerseits gewähren digitalisierte Lösungen der Kommunikation, des Datenzugangs und der Informationsverarbeitung Chancen der Leistungssteigerung und Autonomie. Andererseits besteht ein nicht unerhebliches Risiko der Entgrenzung von Arbeit, von Arbeits-Freizeit-Konflikten und hieraus resultierende Leistungseinbußen sowie psychischer Beanspruchung.
Sehnen wir uns bald zurück ins Büro oder finden wir Gefallen am Arbeiten in den eigenen vier Wänden?
Diestel: Das hängt sicherlich von zahlreichen individuellen und organisatorischen Randbedingungen ab: Personen mit hoher Selbstkontrollfähigkeit, ausgeprägter Gewissenhaftigkeit und einschlägigen sozialen (sowie intellektuellen) Kompetenzen dürften sich in beiden Settings schnell anpassen können und daher erfolgreich sein. Schlechtes bzw. destruktives Führungsverhalten (wenig Mitarbeiterorientierung) hingegen lässt den Wunsch steigern, zu Hause zu arbeiten und den Arbeitsplatz zu vermeiden.
Wo liegen die großen Herausforderungen beim Homeoffice – vor allem in der aktuellen Situation?
Diestel: Wichtig ist in erster Linie eine klare und gut strukturierte Kommunikation im Team und mit der Führungskraft. Das beinhaltet auch zeitnahes Feedback und wahrgenommene Unterstützung durch die eigene Organisation. Weiterhin bedeutsam ist eine hohe Rollenklarheit in Bezug auf das eigene Aufgabenspektrum, die Priorisierung und die Arbeitsprozesse. Nicht zuletzt ist natürlich auch die Abstimmung mit Familienangehörigen in der Gestaltung des Alltags und der Betreuung der Kinder eine Herausforderung, vor der derzeit viele Familien stehen.
Wer ist fürs Homeoffice geeignet, wer eher nicht?
Diestel: Personen mit hoher Selbstkontrollfähigkeit sind sicherlich für das Homeoffice gut geeignet, während im Falle von Selbstkontrolldefiziten, hohen privaten Belastungen oder geringer sozialer Unterstützung durch das private oder berufliche Umfeld eher Probleme in einer wenig strukturierten Homeoffice-Situation auftreten können. In den meisten Fällen ist es allerdings eine Frage der Passung zwischen individuellen Fähigkeiten und Fertigkeiten einerseits und den Aufgaben sowie Projekten andererseits. Die Aufgaben sollten ganzheitlich sein, gewisse Autonomie erlauben, vielseitig und bedeutsam sein.
Welches sind Ihre wichtigsten Tipps? Wie richtet man seinen Homeoffice-Arbeitsplatz idealweise ein?
Diestel:
- Auf Erholung und Schlafqualität achten (es handelt sich hierbei um zentrale Voraussetzungen für „normale“ Arbeitssituationen, allerdings stellt das Homeoffice zusätzliche Anforderungen an die Selbstkontrolle)
- Selbst- und Zeitmanagement-Methoden nutzen: Klare Aufgabenpriorisierung, klarer Zielfokus (smarte Ziele: spezifisch, messbar, anspruchsvoll, realistisch, terminiert), Pausenmanagement (ca. nach 40 Minuten kurz abschalten), koordinierte Abstimmung mit Familienangehörigen (Zeitpläne festlegen), auf wenige Prozesse fokussieren, nicht zu viele Projekte und Aufgaben gleichzeitig in Angriff nehmen, Strategien und Ressourcen im Vorfeld klären (wie kann ich meine Ziele erreichen und Aufgaben erfüllen?), Handlungspläne für komplexe Projekte entwerfen (Meilensteine, alternative Lösungen, Budgets, Aufgabenpakete in strukturierter Weise dokumentieren).
- Kommunikation mit Team und Führungskräften effizient gestalten: Agenda vor jeder Videokonferenz festlegen (klingt trivial, ist aber häufig nicht der Fall), verbindliche Absprachen treffen und protokollieren, Ziele und Tätigkeiten abstimmen, digitale Anwesenheit zeigen (sich per Email melden), keine unnötigen WhatsApp-, Viber- oder Cloud-Chats einrichten und bedienen (nur notwendige Chats verwenden).
- Homeoffice-Architektur: Am besten eigenes Büro (genügend Helligkeit, wenig Bücher, Material oder sonstige ablenkende Reize, kein TV oder Spielekonsole), Zeiten für ungestörtes Arbeiten festlegen, Büro nur für die Tätigkeit nutzen (nicht das Schlafzimmer oder die Küche), großes Fenster, ggf. Pflanzen, die eine beruhigende und entspannte Atmosphäre erzeugen, Flipchart/Tafel/Metaplanwand für Notizen und Überlegungen nutzen.
- Unterstützung im privaten und beruflichen Umfeld anbieten sowie für sich sicherstellen: Sich mit Kolleg*innen austauschen, Feedback einholen, über Probleme und Herausforderungen offen reden, Beratung anbieten und einholen, emotionale Nähe (auch in Phasen des eingeschränkten Kontakts) zeigen.
Ist die derzeitige Krise vielleicht sogar eine Chance?
Diestel: Hier muss man klar zwischen soziologischen, ökonomischen, psychologischen, medizinischen und nicht zuletzt philosophischen Perspektiven differenzieren. Für die Arbeitswelt auf der Ebene der Beschäftigten sowie für ganze Organisationen auf der Ebene von Entscheidungsträgern sind es Fragen der Arbeitsgestaltung, der wechselseitigen sozialen Unterstützung, der Balance zwischen ökonomischer Wertschöpfung und einer von Verantwortungsbewusstsein getragenen Nachhaltigkeit sowie der ethischen Führung. Erkenntnisse aus der Arbeits- und Organisationspsychologie lassen vermuten, dass eine starke Mitarbeiterorientierung, ein ethisches Selbstverständnis in der Organisationskultur sowie Visionen und hieraus abgeleitete Strategien im Human-Resource-Management auf die Leistungsfähigkeit und Wertschöpfung von Unternehmen einzahlen.
Kontakt:
Prof. Dr. Stefan Diestel
Fakultät für Wirtschaftswissenschaft – Schumpeter School of Business and Economics
Telefon 0202/439-2291
E-Mail diestel@uni-wuppertal.de