Jahr100Wissen: „Das moderne Atommodell wäre ohne das Proton nicht möglich!“
Was genau ist ein Proton?
Kampert: In dem Wort Proton steckt ja das Präfix Proto aus dem Altgriechischen, das heißt soviel wie das Erste. Und das Proton ist tatsächlich das erste Teilchen, aus dem Atomkerne aufgebaut sind. Das Proton ist ein Prototyp eines Atomkerns.
Wer hat das Proton entdeckt?
Kampert: Die Entdeckung geht auf den neuseeländischen Physiker Ernest Rutherford zurück, der seinerzeit in England tätig war. Rutherford kennen die meisten noch aus dem Schulunterricht, nämlich von dem Rutherfordschen Atommodell. Das besagt, dass die Masse eines Atoms in einem winzigen kleinen Kern konzentriert ist, um den sich dann die Elektronen bewegen. Das ist dieses Bild, was wir vom Atom haben, obwohl die Elektronen in Wirklichkeit nicht den Atomkern umkreisen. Rutherford hatte bereits 1908 einen Nobelpreis für Chemie bekommen, also noch vor der Entdeckung des Protons, weil er die Radioaktivität genauer untersucht hatte, die schon 1896 entdeckt worden war. Und er hat festgestellt, auch das kennen wir aus dem Schulunterricht, dass bei der Radioaktivität drei verschiedene Strahlungen auftreten: Alpha-, Beta- und Gammastrahlung. Und dafür hat er den Nobelpreis bekommen. Er hat sich dann weiter mit dem Aufbau der Atomkerne beschäftigt und ist dabei auf die Protonen gestoßen.
Wie hat er das Proton entdeckt? War das Zufall oder hat er gezielt gesucht?
Kampert: Vor ein paar Jahren konnte man die langjährige gezielte Suche nach dem Higgs-Teilchen erfolgreich beenden. Im Falle des Protons war die Situation anders und eine gezielte Suche nach dem Proton hat in dieser Form nicht stattgefunden. Es war allerdings auch keine Zufallsentdeckung, sondern vielmehr eine gezielte Untersuchung der Struktur von Atomkernen. Der Schlüssel, der dazu geführt hat, dass ein Proton als solches existieren muss, war, dass Rutherford es geschafft hatte, Kerne gezielt ineinander umzuwandeln. Ganz konkret gelang es ihm, Stickstoffkerne in Sauerstoffkerne umzuwandeln, einfach dadurch, dass er ein Proton dem Stickstoffkern zugefügt hat. Er fügte dem Kern also eine Einheit zu, um einen anderen Kern zu erzeugen.
Warum war die Entdeckung des Protons so wichtig für die Wissenschaft?
Kampert: Die moderne Wissenschaft wäre eigentlich nicht möglich, ohne ein modernes Atommodell. Und das Proton ist der wichtigste Bestandteil dieses Atommodells. Die gesamte moderne Wissenschaft fußt darauf und mit der Entdeckung des Protons fand eine unvergleichbare Vereinfachung statt. Wir kennen in der Natur über 3000 verschiedene Atomsorten, Atomkerne. Und diese wurden letztendlich zurückgeführt auf nur drei einzelne Bausteine, nämlich das Proton, das neutrale Schwesterteilchen Neutron und die Elektronen, die drum herum kreisen. Die gesamte Materie, die uns umgibt, führen wir auf diese drei Bausteine zurück. Das war der Startpunkt. Und ich finde Rutherford hätte leicht für diese fundamentale Entdeckung noch einmal den Nobelpreis für Physik bekommen können.
Wo werden Protonen heute eingesetzt?
Kampert: Eigentlich in allem, was wir in die Hand nehmen, weil die gesamte Materie in erster Linie aus Protonen und Neutronen besteht. Dazu zwei Beispiele aus der Diagnose und der Therapie in der Medizin, bei denen Protonen gezielt eingesetzt werden. Zunächst die Diagnose. Wir kennen alle den Kernspintomographen, meistens bezeichnen wir ihn heute als MRT (Magnetresonanztomographie). Wenn wir also eine MRT-Aufnahme eines Teils unseres Körpers machen, verwenden wir ganz gezielt die Protonen in unserem Körper. Sie werden im Magnetfeld ausgelenkt und dann sozusagen zum Umklappen gebracht. Das wird dann dreidimensional registriert und wir können hochaufgelöst dreidimensional das Bild eines Körpers erzielen. Das geschieht gezielt mit den Protonen im Körper. In der Therapie nutzen wir Protonen in der Bestrahlung. Wenn wir einen Tumor haben, der schlecht zugänglich ist, sei es im inneren Bereich des Gehirns oder auch hinter dem Augapfel, wo man nicht so einfach operieren kann, gibt es seit inzwischen drei Jahrzehnten die Protonentherapie. Patienten werden zum Teilchenbeschleuniger gebracht und dort mit Protonen gezielt bestrahlt. Man kann das so einstellen, dass die Krebszellen punktuell auch innerhalb des Körpers abgetötet werden. Also nicht die Zellen davor, sondern gezielt im dahinterliegenden Krebsbereich.
Ganz aktuell: Forscher haben eine neue Form der Materie entdeckt!
Bisher lassen sich lediglich 17 Prozent der Masse des Weltraums der erforschten sogenannten baryonischen Materie zuordnen. Im Umkehrschluss bedeutet dies: 83 Prozent der Masse bestehen aus der dunklen Materie über die bisher so gut wie nichts bekannt ist. Forscher versuchen nun schon bereits seit einiger Zeit, alle existierenden Teilchen zu finden. Wissenschaftlern in Japan ist dabei nun ein kleiner Durchbruch gelungen: Mithilfe eines Teilchenbeschleunigers haben sie eine neue Form der Materie entstehen lassen. Genutzt wurde dafür ein nur selten auftretendes Teilchen namens Anti-Kaon. Hilft diese Entdeckung bei der Erforschung des Weltalls?
Kampert: Es ist wirklich eine völlig neue Art von Materie dort erzeugt worden. Atomkerne sind ja normalerweise aus Protonen und Neutronen zusammengesetzt. Und in dem Fall haben sie es geschafft, dieses Kaon einzubauen. Der Kern, der am Ende übriggeblieben war, bestand aus zwei Protonen und einem negativ geladenen Kaon, also einem Anti-Kaon. Das Gesamtobjekt hat dann im Grunde fast wieder die Eigenschaften eines Wasserstoffatomkerns, aber eben mit einer völlig anderen Materie im Zentrum, die wir als seltsame Materie bezeichnen, weil die Kaonen zu der Gruppe der seltsamen Teilchen gehören. Seltsam, weil sie bei ihrer Entdeckung in der kosmischen Strahlung seltsame Eigenschaften hinsichtlich ihrer Produktion und ihres Zerfalls aufgewiesen haben. Jetzt hat man diese seltsamen Teilchen erstmals in einen Atomkern eingebaut und damit diese neue Materie geschaffen. Der Kern ist aber nicht stabil, sondern zerfällt nach kurzer Zeit. Aber er bildet sich eben temporär. Und die Möglichkeit, die sich dadurch für die Physik eröffnet, selbst wenn der Atomkern nur kurzzeitig lebt, besteht darin, die Kräfte zwischen den Teilchen, die die Atomkerne insgesamt zusammenhalten, genauer untersuchen und besser studieren zu können. Also lernen wir damit auch etwas über die normale Materie. Ob es diese Art von Materie auch in der Natur gibt, ist dann noch eine andere Frage. Es gibt sie sicherlich nicht hier um uns herum. Jedoch ist es gut möglich, dass diese Art von Materie – darüber wird auch schon länger spekuliert – im Inneren von Neutronensternen im Universum auftauchen könnte. Neutronensterne sind Atomkerne mit der Ausdehnung von zehn Kilometern. Das ist wirklich reine Atomkernmaterie und im Inneren dieser Neutronensterne herrschen enorm hohe Drücke. Bei diesen hohen Drücken vermutet man nun, dass exotische Materie entstehen kann. Ich glaube nicht, dass diese Materie als dunkle Materie in Erscheinung treten wird, weil sie nur kurzzeitig lebt. Dunkle Materie im Universum muss aber lange leben, weil sie ständig überall präsent ist, um die fehlende Gravitation aufrechterhalten zu können. Für die dunkle Materie brauchen wir eigentlich stabile Teilchen, stabil in Bezug auf die Lebensdauer des Universums. Sie werden mit diesen neuen Erkenntnissen die Frage der dunklen Materie meines Erachtens nicht wirklich lösen, aber sie werden uns ermöglichen, die Kräfte in den Atomkernen und auch das Innere von Neutronensternen in der Astrophysik genauer zu verstehen.
Das Interview führte Uwe Blass.
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Prof. Dr. Karl-Heinz Kampert studierte von 1977 bis 1983 an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster Physik. Von 1983 bis 1986 war Kampert wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Westfälischen Wilhelms-Universität und promovierte 1986. Anschließend war er für drei Jahre als postdoktoraler Forschungsstipendiat an der Großforschungseinrichtung CERN in der Schweiz tätig. Von 1989 bis 1995 war er Assistenzprofessor für Physik an der Münsteraner Universität, währenddessen habilitierte er sich 1993. Anschließend lehrte er als Professor der Physik an der Universität Karlsruhe und dem Forschungszentrum Karlsruhe, die 2009 beide zum Karlsruher Institut für Technologie fusionierten. Seit 2003 lehrt er Experimentalphysik an der Bergischen Universität Wuppertal.