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„Jahr100Wissen“: Der erste veröffentlichte Roman von Agatha Christie

13.10.2020|16:04 Uhr

In der Reihe „Jahr100Wissen“ beschäftigen sich Wissenschaftler*innen der Bergischen Universität mit 100 Jahre zurückliegenden Ereignissen, die die Gesellschaft verändert und geprägt haben. Im Oktober 1920 wurde der erste Roman von Agatha Christie veröffentlicht. Ein Interview mit Colin Foskett, ehemaliger Wissenschaftlicher Mitarbeiter im Fach Anglistik.

Colin Foskett<br /><span class="sub_caption">Foto UniService Transfer</span><br /><span class="sub_caption">Klick auf das Foto: Größere Version</span>

Mit der Veröffentlichung ihres ersten Krimis unter dem Titel „The Mysterious Affair at Styles“ begann im Oktober 1920 die schriftstellerische Karriere von Agatha Christie. Was macht ihre Werke so besonders?

Foskett: Wie viele Menschen lese ich gern Krimis, und heutzutage sind sie sehr beliebt, z. B. als Reise- oder Urlaubslektüre. Die Vielzahl von Krimis und Krimiserien im Fernsehen ist auch ein Beweis für die Beliebtheit dieses Genres. Und in den 1920er Jahren hatten die Geschichten von Arthur Conan Doyle mit seinem Meisterdetektiv Sherlock Holmes in Großbritannien eine große Leserschaft. Eine begeisterte Leserschaft war also 1920 vorhanden, und Agatha Christie hat bereits in „The Mysterious Affair at Styles“ ein sehr erfolgreiches Muster für einen Kriminalroman entwickelt: Es geht um Mord, es gibt mehrere Verdächtige – mit Motiven und/oder Alibis –, von denen manche lügen oder etwas zu verbergen haben, und einem Ermittler gelingt es nach und nach, an die Wahrheit zu kommen und den Mörder zu entlarven, bei Agatha Christie häufig in einer dramatischen Schlussszene mit allen, noch lebenden Verdächtigen. Der*die Leser*in begleitet diesen Prozess, erfährt die vielen „clues“ (manche falsche Fährte darunter) und versucht natürlich, selber den Mörder zu erraten, was aber kaum gelingt. So bleibt der Krimi bis zum Schluss spannend.

Unter dem Titel „Das geheimnisvolle Verbrechen in Styles“ erschien der Roman 1929 in deutscher Übersetzung und beinhaltet auch autobiographische Züge. Welche sind das zum Beispiel?

Foskett: Für die Leser*innen spielen autobiografische Züge natürlich überhaupt keine Rolle. Aber: Wenn man weiß, dass der Roman während des Ersten Weltkriegs geschrieben wurde und dass Agatha Christie, 1890 geboren, als Krankenschwester in einem Krankenhaus in ihrem Heimatort Torquay belgische Soldaten pflegte und auch Flüchtlinge aus dem von Deutschland besetzten Belgien kennenlernte, ist es klar, woher die Idee für ihren belgischen Ermittler Hercule Poirot kam.

Es ist der erste Roman mit ihrem Ermittler Hercule Poirot, den sie Jahre später in dem Krimi „Der Vorhang“ sterben lässt. Warum hat sie sich schließlich von ihrem Helden verabschiedet?

Foskett: In „Der Vorhang“ („Curtain: Poirot’s Last Case“) der 1975 erschien, stirbt er, nachdem er (wahrscheinlich absichtlich) vergisst, sein lebenswichtiges Medikament zu nehmen, und vermutlich hatte Agatha Christie es einfach satt, immer diesen Poirot als Ermittler in ihren Romanen zu haben. Und hier gibt es eine Parallele zu Arthur Conan Doyle, der Sherlock Holmes ebenfalls, wenigstens zunächst, sterben ließ. In dem Fall war aber die Enttäuschung und sogar Entrüstung unter den Leser*innen so groß, dass Conan Doyle seine Entscheidung rückgängig machen musste. Bei Poirot war es allerdings anders, denn „Der Vorhang“ war der letzte Roman, der vor Agatha Christies Tod (ein Jahr später) veröffentlicht wurde. Eine Ermittlerin hatte Agatha Christie auch – die ältere Miss Marple – die aber in „nur“ 14 Romanen ermittelte, während Poirot es auf 33 brachte.

Agatha Christie gilt gemeinhin als die Queen of Crime. Was sind die Gründe?

Foskett: Ja, sie gilt als „Queen of Crime“, und die Gründe liegen wohl in der erfolgreichen Anwendung des Musters für einen klassischen Krimi – über 60 Mal. Sie hat als Kind Bücher regelrecht verschlungen und konnte die sehr geschickten Handlungen ihrer Krimis auch sprachlich überzeugend erzählen. Mit klassischen Krimis meine ich übrigens solche, in denen gruselige Details wie brutale Morde mit blutüberströmten Leichen nicht beschrieben werden. Vergiftung ist eine häufige Methode, und Nachweise, anhand von akribischen forensischen Untersuchungen, wie sie heute möglich sind, kommen nicht vor und gab es wohl kaum zu der Zeit. Es geht um die Personen und um die möglichen Motive für einen Mord. Diese „Queen of Crime“ hatte und hat etliche Nachfolgerinnen (vielleicht „Thronfolgerinnen“), die ihre Muster angewendet und in moderneren Krimis weiterentwickelt haben. Man denke zum Beispiel an P.D. James (mit dem Ermittler Adam Dalgleish) und Ruth Rendell (Inspector Wexford) oder an Elizabeth George (Inspector Lynley) oder Martha Grimes (Richard Jury).

Abschließend noch eine kleine Leseempfehlung: Welcher Christie-Roman ist ihr persönlicher Favorit?

Foskett: „Murder on the Links“ („Mord auf dem Golfplatz“) war vielleicht mein erster Christie-Roman, aber einen Favoriten habe ich nicht, denn ich lese selten einen Krimi mehr als einmal. Enttäuscht war ich allerdings bei Agatha Christie nie. Als Verkaufsschlager gilt wohl „And Then There Were None“, den ich las als er einen anderen Titel hatte, der heute politisch unkorrekt wäre. Das Besondere an diesem Krimi ist, dass am Ende keine*r der ursprünglich Verdächtigen noch lebt. Wer wissen will, wie das funktioniert, soll diesen spannenden Krimi lesen. Einige Krimis von Agatha Christie in englischer Sprache findet man übrigens in der Universitätsbibliothek – unter anderem „The Mysterious Affair at Styles“. In diesem Jahr erschien der Roman zum Jubiläum unter dem bereits 1959 geänderten Titel „Das fehlende Glied in der Kette“ in einer Neuauflage.

Uwe Blass

Das komplette „Jahr100Wissen“-Interview lesen Sie hier.


Colin Foskett war von 1977 bis 2011 wissenschaftlicher Mitarbeiter im Fach Anglistik. Er war in den Bereichen Sprachpraxis und Sprachwissenschaft in der Lehre tätig und viele Jahre für die Koordinierung des Bereichs Sprachpraxis zuständig.

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