Jahr100Wissen: „Guccio Gucci hatte Mut zur Umsetzung seiner eigenen Idee“
1921 gründete der Sattlermeister Guccio Gucci eine kleine Lederwerkstatt in Florenz, aus der sich ein Weltkonzern entwickeln sollte. Sind Gründer*innen eigentlich risikobereiter als andere Menschen?
Volkmann: Die Risikoeinstellungen von Gründer*innen im Verhältnis zu Nicht-Gründer*innen wurden in der Vergangenheit häufig einer wirtschaftswissenschaftlichen Betrachtung unterzogen. Die Frage nach der Risikoneigung von Gründer*innen ist komplex und konnte bis heute in der Entrepreneurship-Forschung noch nicht eindeutig beantwortet werden. Dabei werden Unternehmensgründungen in der Gesellschaft als Wagnis wahrgenommen, sodass Gründer*innen vielfach als risikofreudiger im Vergleich zu anderen Menschen eingestuft werden. Unterschiedliche Studien zeigen jedoch, dass nicht eindeutig belegt werden kann, dass Gründer*innen risikoaffiner sind. In diesem Sinne wurden in der Entrepreneurship-Forschung weitere Eigenschaftsdimensionen, wie z. B. Mut, Wettbewerbsbereitschaft sowie Selbstvertrauen und -wirksamkeit untersucht. Hiernach ist etwa Mut ein wesentlicher Aspekt einer Gründung.
Guccio Gucci hatte Mut zur Umsetzung seiner eigenen Idee. Er ist dabei allerdings nicht leichtfertig, sondern geplant durch eingehende Beobachtung der Umwelt und des Marktes, vorgegangen. Denn er beobachtete über mehrere Jahre hinweg die Konsumgewohnheiten der gehobenen Klasse in London, bevor er 1921 sein Lederwarengeschäft eröffnete. Aus seinen Beobachtungen heraus wusste er, dass er Produkte von höchster Qualität herstellen musste, um dem Kaufinteresse der reichen Kaufleute zu entsprechen und um zeitgleich eine Marktlücke zu adressieren.
Aus der Ressourcenknappheit des Nachkriegseuropas entwickelte Gucci 1947 erstmals eine Damenhandtasche mit Bambusgriff, die sogenannte Bamboo Bag, in die er günstiges Naturmaterial integrierte. In den 1950er und 60er Jahren, dem goldenen Zeitalter des internationalen Jet Set, trugen unzählige Berühmtheiten diese Handtasche, unter anderem Ingrid Bergman und Vanessa Redgrave. Wie innovativ müssen Gründer*innen heute sein, um sich dem ständig wechselnden Markt anzupassen?
Volkmann: Die angesprochene Bamboo Bag ist ein gutes Beispiel dafür, wie Unternehmer*innen „unternehmerische Gelegenheiten erkennen“ und nutzen, um einen zusätzlichen Wert zu schaffen. Eine unternehmerische Gelegenheit zeichnet sich dadurch aus, dass ihr Wert von verschiedenen Marktteilnehmer*innen unterschiedlich wahrgenommen wird. Guccio Gucci erkannte, dass die Materialien, trotz ihres günstigen Preises von Kund*innen als qualitativ hochwertig und exotisch wahrgenommen wurden und diese daher bereit waren, einen höheren Preis zu zahlen. Die Bedeutung von Innovationen für Unternehmen hat sich hierbei seit den 1950er Jahren nicht verändert und ist stark mit wichtigen Erfolgsgrößen wie Umsatz und Gewinn verknüpft.
Immer kürzer werdende Produktlebenszyklen, ausgelöst durch immer neue Kundenbedürfnisse und Trends, stellen auf der einen Seite eine Chance dar, neue Geschäftsideen umzusetzen. Auf der anderen Seite implizieren diese aber auch, dass Unternehmen immer schneller innovieren und Produktentwicklungsprozesse stark verkürzt werden müssen.
Um die Innovationskraft zu gewährleisten und sich in einem immer wechselnden Markt langfristig anzupassen, spielt auch die Fokussierung auf die Kernkompetenzen im Gründungsteam eine zentrale Rolle. So ist die Organisation im Team bzw. das Outsourcen von Aufgaben ein Kernelement, um sich als Unternehmen auf die Umsetzung der Idee und den Markt einstellen zu können. Das Unternehmen Gucci tat dies, indem Guccio Gucci seine Söhne in das Unternehmen aufnahm und somit Kompetenzen verteilt wurden und die Idee der berühmten Bamboo Bag entstehen konnte.
Erst 1960 wurde das bis heute bekannte Symbol der Firma, zwei miteinander verbundene Steigbügel bzw. die ineinander verschlungenen Gs für Guccio Gucci kreiert. Wie wichtig ist die richtige Marketingstrategie für ein Start-up-Unternehmen?
Volkmann: Der Erfolg eines Start-ups ist unter anderem von der Marketingstrategie abhängig und damit von grundlegender Bedeutung. Schon seit einigen Jahren – und nicht erst seit Covid-19 – sind in den meisten Branchen digitale Marketingstrategien wichtig, so auch im Luxuskonsumgütermarkt. Die Positionierung im Markt durch eine ausführliche Marktanalyse vorab und die Identifikation der Zielgruppe ist für die langfristige Annahme des Produktes oder der Dienstleistung durch den Kunden elementar. Dabei sollte die Unique Value Proposition, das Alleinstellungsmerkmal, und der Nutzen für die Kund*innen, klar identifiziert sein.
Gucci definiert für sich die Qualitätsführerschaft mit Hilfe von emotionalen Geschichten, die bei den Kunden im Gedächtnis gespeichert werden. Diese Positionierung ist im Luxuskonsumgütermarkt wichtig. Die Nutzung der ganzheitlichen Markensichtbarkeit und der Integration der Markengeschichte definiert den Wert der Marke für die Kunden. Gucci lässt klar erkennen, welche Werte die Marke vertritt und welche Kundengruppe angesprochen wird.
Dabei spielt heutzutage die Onlinevermarktung der Luxusmarke zunehmend eine immer wichtigere Rolle. Das Unternehmen arbeitet mit Testimonials zusammen, Personen, die der Zielgruppe meist bekannt sind und mit ihrem Auftritt die Glaubwürdigkeit der Werbebotschaft erhöhen. Zur Kommunikation werden dabei vor allem Social-Media-Kanäle genutzt. Wichtig dabei ist, dass das Start-up seinen Werten und seiner Kommunikationsstrategie treu bleibt. Ein einheitliches Wording, die Corporate Identity, und die Zusammenarbeit mit Kanälen, die mit der Authentizität des Start-ups übereinstimmen, gilt es zu berücksichtigen.
Durch Besitzstreitigkeiten wurde das ursprünglich als Familienunternehmen geführte Geschäft 1998 zu 50 Prozent an ein Investmentunternehmen aus Bahrain verkauft. Auch in Wuppertal gibt es noch familiengeführte Unternehmen. Worin liegen deren Vorteile?
Volkmann: Der Anteil von Familienunternehmen an allen Unternehmungen liegt in Deutschland bei mehr als 90 Prozent. Dies verdeutlicht die hohe volkswirtschaftliche Bedeutung von Familienunternehmen. Der Vorteil von Familienunternehmen liegt in ihrer langfristigen strategischen Ausrichtung. Diese ist unter anderem in der Bedeutung von nicht-finanziellen Erfolgsgrößen, dem sogenannten „Socioemotional Wealth“, begründet. Beispiele hierfür sind die Zufriedenheit der Mitarbeitenden, die Reputation, die Identität, die Fähigkeit, Einfluss auf das Unternehmen ausüben zu können, sowie die Aufrechterhaltung der Familiendynastie. Diese Faktoren wirken sich langfristig auch auf die Erreichung finanzieller Erfolgsgrößen aus.
Der Erfolg von Familienunternehmen lässt sich in Wuppertal beispielsweise anhand der Wuppertaler Familie Jackstädt verdeutlichen. Vor 100 Jahren gründete Wilhelm Jackstädt die Feinpapiergroßhandlung Jackstädt, die von seinem Sohn Werner Jackstädt in einen Weltkonzern entwickelt wurde. Das positive Wirken der Familie ist heutzutage durch die Arbeit der Jackstädt Stiftung und des Jackstädtzentrums für Unternehmertum und Innovationsforschung geprägt.
Gucci spricht mit seiner Angebotspalette in erster Linie Frauen an. Bei eigenen Unternehmensgründungen sind Frauen noch immer sehr zögerlich. Für das von Ihnen initiierte Projekt „Women Entrepreneurs in Science“ hat es Ende 2020 rund zwei Millionen Euro Förderung vom Ministerium für Wirtschaft, Innovation, Digitalisierung und Energie des Landes Nordrhein-Westfalens gegeben. Diese Förderung soll für den Aufbau eines NRW-weiten Netzwerkes für Gründerinnen, gründungsinteressierte Frauen, Mentoren*innen und Unterstützer*innen aufgewendet werden. Mit welchen Maßnahmen ermutigen Sie Frauen zu gründen?
Volkmann: Gründerinnen sind in Deutschland und in NRW immer noch unterrepräsentiert. Im Jahr 2020 lag der Anteil der Gründerinnen bei circa 30 Prozent. Im Bereich der schnell wachsenden, innovativen Start-up Unternehmen sogar nur bei 15 Prozent. Das Projekt, welches im Rahmen der Start-up Center.NRW Initiative des Landes Nordrhein-Westfalen gefördert wird, adressiert Gründerinnen aus den NRW-Hochschulen (Studentinnen, Mitarbeiterinnen und Absolventinnen) mit dem Ziel, potenzielle Gründerinnen für Unternehmensgründung zu sensibilisieren und bei ihrer Gründung zu unterstützen. Das Projekt Women Entrepreneurs in Science etabliert ein NRW-weites Hochschulnetzwerk für Frauen, welches passende Vorbilder schafft und die nötige Aufmerksamkeit und Unterstützungsleistung – vor, während und nach der Gründung – bietet. Hierbei agiert die Bergische Universität als Initiatorin des Netzwerkes und als Organisatorin verschiedener NRW-weiter Veranstaltungsformate. Dafür wird die fachliche Expertise des Projektteams durch Kooperationspartner*innen wie zum Beispiel die bundesweite gründerinnenagentur (bga), FRAUEN unternehmen und fe:male Innovation Hub unterstützt.
Innerhalb dieser Veranstaltungen tauschen sich gründungsinteressierte Frauen mit anderen Gründerinnen, Vorbildern, Mentor*innen und Investor*innen aus und können sich zum Beispiel beim Speed-Dating oder bei Workshops präsentieren, vernetzen und ihre Sichtbarkeit erhöhen. Der Women Entrepreneurs in Science Award bietet zusätzlich die Möglichkeit, die eigene Idee zu präsentieren.
Uwe Blass
Das komplette „Jahr100Wissen“-Interview lesen Sie hier.
Prof. Dr. Christine K. Volkmann leitet seit 2008 den Lehrstuhl für Unternehmensgründung und Wirtschaftsentwicklung an der Schumpeter School of Business and Economics der Bergischen Universität Wuppertal. Seit 2010 ist sie an der BUW Inhaberin des UNESCO-Lehrstuhls für Entrepreneurship und Interkulturelles Management.