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„Mauerschau – Die DDR als Film“Eine Bergische Transfergeschichte mit Dr. Dominik Orth

05.11.2019|14:00 Uhr

Am 9. November jährt sich zum 30. Mal der Mauerfall und damit der Anfang vom Ende der Deutschen Demokratischen Republik. Ein Jahrhundertereignis, mit dem sich seither unterschiedlichste wissenschaftliche Disziplinen beschäftigen. Der Wuppertaler Literatur- und Medienwissenschaftler Dr. Dominik Orth bringt zu dieser Thematik, in Zusammenarbeit mit Prof. Dr. Heinz-Peter Preußer von der Universität Bielefeld, im Frühjahr 2020 das Buch „Mauerschau – Die DDR als Film“ heraus. In der aktuellen Transfergeschichte spricht er über die Auseinandersetzung mit Filmen aus der DDR und über die DDR.

Dr. Dominik Orth<br /><span class="sub_caption">Foto UniService Transfer</span><br /><span class="sub_caption">Klick auf das Foto: Größere Version</span>

Den Grundstein für ihr im kommenden Jahr erscheinendes Buch legten Orth und Preußer bereits vor zehn Jahren: Zum 20. Jahrestag des Mauerfalls organisierten die beiden Wissenschaftler gemeinsam mit einem weiteren Kollegen eine Filmreihe sowie eine Tagung und eine entsprechende Publikation. „Der thematische Schwerpunkt dieser Aktionen lag auf der Zeit nach der Wende. Wir haben damals bewusst sowohl literarische als auch filmische Erzählungen herangezogen, die insbesondere die Zeit nach der Wiedervereinigung thematisieren“, erklärt Orth. „Als nun der 30. Jahrestag anstand dachten wir, wir können an diese Vorbereitungen anknüpfen. Wir haben die DDR als Gegenstand selbst in Filmen sowie auch Filme aus der DDR berücksichtigt.“

Das entscheidend Neue an dem aktuellen Buch ist der große Überblick, den es liefern soll. „Es gibt viele Publikationen zu einzelnen Filmen, zu einzelnen Phänomenen“, konkretisiert Orth, „aber wenige Überblicksdarstellungen, die sowohl Filme aus der DDR als auch solche über die DDR aus der Zeit, als der Staat noch existierte, behandeln.“ So entstand die Idee, ein Buch herauszugeben, in dem die verschiedenen Facetten der Selbst- und Fremdbilder aus der Bestehenszeit sowie der Nachfolgezeit der DDR ineinanderfließen.

Eine Ringvorlesung zum Auftakt

Um diese Mammutaufgabe zu bewältigen, setzten die beiden Herausgeber auch auf den Input weiterer Fachwissenschaftler und organisierten im Sommer 2018 eine große Ringvorlesung an der Universität Bielefeld. Unter Vorgabe einer Auswahl besonders relevanter Filme wandten sie sich an Kolleg*innen unterschiedlichster Disziplinen. „Wir haben dann interdisziplinär Germanisten, Filmwissenschaftler, Medienwissenschaftler und Geschichtswissenschaftler angesprochen, die schon als DDR-Experten aufgetreten sind und dementsprechend Erfahrung hatten, sowie Fachleute, die sich konkret mit DDR-Filmen oder Filmen, die nachträglich über die DDR entstanden sind, auseinandergesetzt haben. Wir fragten auch Wissenschaftler, die kulturwissenschaftlich immer hinterfragt haben, wie Zeitgeschichte und Erzählung zusammenhängen.“ Die Vorträge der Ringvorlesung zu ausgewählten Filmen in und über die DDR fließen als Aufsätze in den neuen Sammelband mit ein.

DEFA – Deutsche Film AG

Aber wie erkennt man einen DDR-Film überhaupt? „Am DEFA-Logo. Das“, so Orth lachend „wäre die einfache Antwort. Die DEFA war der staatliche Monopolbetrieb, der die gesamte Filmproduktion in der DDR verantwortet hat. Die DEFA wurde durch den Staat, die Partei kontrolliert. Entsprechend müssen die Filme auch eingeordnet werden, wenn man sie sich anschaut.“ Doch Film ist nicht gleich Film, da die Vielfalt der Produktionen – die DEFA produzierte in ihrer Zeit rund 700 Spielfilme, 750 Animationsfilme sowie 2250 Dokumentar- und Kurzfilme – erstaunlich groß war. „Es gibt natürlich Propagandafilme, aber auch sehr anspruchsvolle Filme, die ästhetisch aus heutiger Sicht sehr spannend sind. Es gibt Genrefilme, Märchenfilme, die teilweise ideologisch geprägt sind“, zählt der Geisteswissenschaftler auf. „Es gibt auch Science-Fiction- und Agentenfilme. Selbst kritische Filme, die in der DDR produziert wurden, existieren. Das ist schon eine große Vielfalt.“

Manchmal, so scheint es heute, standen sich die Filmemacher selber im Weg: Vielfach wurde an Stellen politisiert, wo es gar nicht nötig war. Dazu sagt Orth: „Ein gutes Beispiel ist ,Berlin, Ecke Schönhauser…´ aus dem Jahr 1957. Das ist so ein ,Halbstarken-Film': Es geht um Jugendliche, die es genau so auch im Westen gab. In ,Berlin, Ecke Schönhauser…´ hat man das Thema politisch aufgeladen, was nicht nötig gewesen wäre. Im Grunde geht es, wie in ,Denn sie wissen nicht, was sie tun', der 1955 in den USA mit James Dean erschien, um Probleme von Jugendlichen – unabhängig davon, wo die leben. Und man hat in dem Fall eine politische Dimension einfach noch draufgesetzt, eine Tendenz, die man in vielen Filmen sieht.“

Es gab keine Zensur

„Offiziell gab es keine Zensur“, sagt Orth bestimmt und muss dann doch grinsen, denn „die Filme mussten durch den Staat zugelassen werden. Heißt, es gab verschiedene Institutionen, die von der ersten Filmidee an bis zum Schluss dafür gesorgt haben, dass der Film auf Parteilinie bleibt.“ Bei dieser Maßgabe wundert es dann schon, dass bei der Produktionsvielfalt der DEFA lediglich 30 Filme verboten, deren Produktion abgebrochen oder gar nicht erst aufgeführt wurden. Dafür hat Orth eine Erklärung: „Viele Filme wurden im Entstehungsprozess, der von vornherein mit der Partei verwoben war, schon beeinflusst. Es gibt dieses geflügelte Wort von der Schere im Kopf. Die Filmemacher wussten vorher schon, was Probleme geben könnte und haben die entsprechenden Szenen gleich rausgeschnitten oder gar nicht erst gedreht. Die haben sich selbst zensiert, wenn man so will, bevor es zu der speziellen und faktisch doch vorhandenen Zensur kam.“

In diesem Zusammenhang nennt Orth auch das sogenannte Kahlschlag-Plenum aus dem Jahre 1965. Auf dem elften Plenum des Zentralkomitees der SED wurden die Künstler der DDR angeklagt. Wortführer Erich Honecker warf ihnen u. a. Nihilismus und Pornografie vor. Zahlreiche Filme – auch von regimefreundlichen Regisseuren – wurden daraufhin, neben vielen Büchern, verboten.

„Die Spur der Steine“, ein Kellerfilm

Der vielleicht bekannteste verbotene, sogenannte Kellerfilm – Indexfilme lagerten nur noch im Kellerarchiv – ist ,Die Spur der Steine´, eine DEFA-Produktion mit Manfred Krug in der Hauptrolle aus dem Jahr 1966. „In dem Film werden Parteifunktionäre dargestellt“, erklärt Orth, „und die Darstellung dieser Parteifunktionäre stimmte nicht mit dem Selbstbild der Partei überein. Im Film waren das recht verbohrte, starrköpfige Parteisoldaten. Einer beging Ehebruch und erkannte das daraus entstandene Kind nicht an. Das war moralisch höchst verwerflich." Zudem sei die Partei als zerstritten und mit unterschiedlichen Flügeln dargestellt. „Das passte der SED natürlich nicht. Gleichzeitig gibt es so eine Cowboymentalität, es geht ja um eine Arbeiterbrigade. Die werden teilweise wie in einem Western inszeniert, verhalten sich auch dementsprechend anarchistisch. Sie springen nackt in einen Teich und schmeißen einen Volkspolizisten mit ins Wasser. Das hat der Staatsführung wenig behagt.“

Die Intention des Regisseurs, der Probleme aufzeigen wollte, die zu einer Verbesserung der Verhältnisse beisteuern sollten, sah die Staatsführung als Bedrohung an und sorgte dafür, dass der Film nach wenigen Tagen aus den Kinos verschwand. „Die Partei hat sogar Störer organisiert, die die Vorführung mit Zwischenrufen unterbrochen haben oder gar zum Abbruch des Films führten“, erläutert Orth. Tatsächlich wurde „Die Spur der Steine“ erst nach dem Mauerfall wieder aufgeführt.

Zeitgeschichtlich herausragend

Die Ausbürgerung Wolf Biermanns 1976 und die damit verbundene Ausreise bekannter DEFA-Künstler wie Manfred Krug, Armin Müller-Stahl und Angelika Domröse führten kurzzeitig zu mehr Freiheiten im Film, so dass die Produktion „Solo Sunny“ von 1980 über die Selbstfindung einer jungen Künstlerin sogar das Tabuthema Suizid behandeln durfte. „Es ist tatsächlich erstaunlich, dass der Film veröffentlicht werden konnte“, sagt Orth, denn „diesen Film fand die Parteiführung nicht gut, weil damit suggeriert wird, dass die Leute aus der sozialistischen Gesellschaft die gleichen Probleme haben, wie die aus der westlichen Gesellschaft.“

Zeitgeschichtlich haben die DEFA-Spielfilmproduktionen durchaus auch weitere herausragende Filme erstellt. „,Die Mörder sind unter uns' von 1946 ist der erste DEFA-Film, der noch vor der Staatsgründung produziert wurde. Es ist eine unmittelbare Auseinandersetzung mit dem NS-Regime. Ästhetisch gut gemacht, hat er viele Anleihen an den expressionistischen Film. ,Der geteilte Himmel´ aus dem Jahr 1964 von Konrad Wolf ist eine Literaturverfilmung einer Vorlage von Christa Wolf. Der Film legitimiert einerseits die Teilung und die Mauer implizit, ist aber ästhetisch und künstlerisch hochinteressant“, sagt Orth. Er fährt fort: „,Die Legende von Paul und Paula´ von 1973 ist im Grunde ein Liebesfilm und gilt heute als Kultfilm. ,Jakob der Lügner´ von 1974 ist die einzige DEFA-Literaturverfilmung, die für einen Oscar nominiert war. Das sind zeitgeschichtlich wirklich bemerkenswerte Werke.“

Mit Ostalgie der Vergangenheit begegnen

Und dann ist da noch die Zeit nach der Wende. Wie schildern Filmemacher die DDR nach dem Mauerfall? „Da gibt es verschiedene Schwerpunkte“, erklärt Orth. „Zum einen als nostalgischen Ort, zum Beispiel in Filmen wie ,Sonnenallee' von 1999 oder ,Good Bye, Lenin!' aus dem Jahr 2003, die das Leben in der DDR thematisieren. Gerade das Leben von aufwachsenden jungen Menschen. Das Politische spielt dabei gar nicht so eine große Rolle. Das andere ist der Unrechts- und Spionagestaat. ,Das Leben der Anderen´ von 2006 ist ein gutes Beispiel, wo die zu kritisierenden Elemente, die mit der DDR einhergingen, auch thematisiert wurden. Aber auch Ausnahmeproduktionen wie ,Wir können auch anders' aus dem Jahr 1993 von Detlev Buck gibt es, der die DDR als wilden Osten darstellt. Ein Roadmovie durch die DDR.“

Die Filmemacher nähern sich dem Thema DDR in klassischen Mustern. Sowohl durch Komödien, die das ganze humoristisch verarbeiten, als auch durch Tragödien. Dabei verklärt der Filmblick unter Umständen auch die eigentliche Historie. „Diese Filme haben natürlich auch eine gesellschaftliche Funktion. Das ist eine Art der Erinnerung. Natürlich sind die“, erklärt der Wissenschaftler, „nicht zum Erinnern produziert worden. Aber als massenmediale Produkte tragen sie zu einer kulturellen Erinnerung bei. Und Erinnerung verklärt immer. Dazu kommt, dass wir von Spielfilmen sprechen, die zwar Bezüge zur Realität haben, aber nicht mit der Realität gleichzusetzen sind, weil sie fiktionalisieren. Das ist auch ein wichtiger Ansatz in unserem Buch. Die Autorinnen und Autoren stellen sich dem Ansatz, dass es nur Bilder der DDR sind und nicht die DDR, wie sie wirklich war.“

30 Jahre später hat sich eine neue Generation entwickelt, die die DDR nur noch aus Geschichtsbüchern, Filmen und Erzählungen kennt. „Inzwischen“, resümiert Orth, „ist die DDR nur noch Kulisse für die 80er Jahre. Das kann man an der Serie ,Deutschland 83' sehen, die 2015 produziert wurde und auch die DDR zum Thema hat. Die Serie ist mehr eine 80er-Jahre-Serie als eine Serie über die DDR. Damals gab es zwar noch die DDR. Aber hier ist sie eher Ausstattungsmerkmal für einen Spionageplot. Die DDR gehört einfach dazu, wenn man etwas über die 80er Jahre macht. Eine kritische Auseinandersetzung findet da höchstens in Ansätzen statt.“

Das Buch „Mauerschau – Die DDR als Film. Beiträge zur Historisierung eines verschwundenen Staates“, herausgegeben von Dominik Orth und Heinz-Peter Preußer erscheint im Frühjahr 2020 im Verlag De Gruyter.

Uwe Blass


Dominik Orth absolvierte ein Magister-Studium mit den Fächern Kulturwissenschaft, Germanistik und Geschichte an den Universitäten Bonn und Bremen. Er promovierte 2012 an der Universität Bremen. Seit 2017 arbeitet er als Lehrkraft für besondere Aufgaben im Bereich Neuere deutsche Literatur in der Fachgruppe Germanistik an der Bergischen Universität.

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