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Praktische Lösungen für die Arbeits- und die Wirtschaftswelt –Eine Bergische Transfergeschichte mit Prof. Dr. Stefan Diestel

18.12.2019|09:20 Uhr

Dr. Stefan Diestel ist Professor für Arbeits-, Organisations- und Wirtschaftspsychologie an der Universität Wuppertal. In der aktuellen Bergischen Transfergeschichte spricht er über Führungsstile, Burnout und die digitale Transformation im Kontext seines Forschungsschwerpunkts „Ethische Führung in Organisationen".

Prof. Dr. Stefan Diestel<br /><span class="sub_caption">Foto UniService Transfer</span>

Deutsche sind im internationalen Vergleich eher pünktlich, zuverlässig und fleißig, sie haben keinen Humor, sind immer gestresst und distanziert. Ein Satz, viele Klischees, die Prof. Dr. Stefan Diestel so nicht stehen lassen will: „Kulturvergleichende Studien zeigen hin und wieder in Abhängigkeit vom Bundesland oder der Herkunft gewisse Persönlichkeitsunterschiede, die ich allerdings nicht auf so einfache Verhaltensmuster reduzieren würde.“ Der Wissenschaftler betont: „Persönlichkeiten werden auch durch Kommunikations- und Wahrnehmungsprozesse sowie Selbst- und Fremdeinschätzungen geformt. Das heißt, das, was ich nach außen bin, ist auch in Teilen mitbestimmt durch das soziale Umfeld, in dem ich mich bewege. Und solche Zuschreibungen und Attributionen kann ich annehmen, wenn ich mich als Deutscher oder als Deutsche identifiziere. Das ist die Frage nach der sozialen Identität. Wir Menschen kategorisieren uns selber.“

Ethische Führung

Anfang dieses Jahres übernahm der 36-Jährige den Lehrstuhl für Arbeits-, Organisations- und Wirtschaftspsychologie in der Schumpeter School of Business and Economics an der Bergischen Universität, zu dessen Forschungsschwerpunkten auch die ethische Führung in Organisationen gehört. Dabei spielen die eingangs genannten Verhaltensmuster ebenfalls eine Rolle, denn sie lassen sich in den Führungsstilen von Unternehmer*innen wiederfinden. Im Rahmen der Beratung und Optimierung von Betrieben untersucht und veranschaulicht Prof. Diestel diese: „Führungsstile bezeichnen Führungsverhaltensmuster, also inwiefern sich eine Führungskraft gegenüber ihren Mitarbeitern fair, gerecht oder eben andererseits willkürlich oder autoritär verhält." Ethische Führungsstile würden auf der Vorstellung basieren, dass die Führungskraft Vorbild in Fragen der ethischen Integrität und moralischer Prinzipien sein könne. „Das Interesse an ethischer Führung resultiert nicht zuletzt aus den zahlreichen Skandalen, die wir in den letzten Jahren erleben mussten“, erklärt Diestel. Anlässe wie der Dieselabgas-Skandal und der Brexit, oder Politiker wie Donald Trump und Recep Tayyip Erdogan ließen ethisches Verhalten vermissen, das immer auch mit einer Vorbildfunktion verbunden werde.

Differenzierte Analysen können Burnout verhindern

Ein Beispiel aus der psychologischen Grundlagenforschung, welches sich auf die Arbeits- und Wirtschaftswelt übertragen lässt, ist das Phänomen des Burnouts. Das in der Öffentlichkeit viel diskutierte Thema, das manche Mediziner*innen, Therapeut*innen und Psychiater*innen nach wie vor als eine Form der Depression ansehen, formuliert der Arbeitspsychologe Diestel wie folgt: „Burnout setzt sich aus den Symptomen emotionaler Erschöpfung, Zynismus und mangelnder persönlicher Erfüllung zusammen.“ Durch Gefährdungsbeurteilungen oder Mitarbeiter*innenbefragungen, die bspw. Psycholog*innen in Unternehmen durchführen, sind diese in der Lage, die Wahrnehmung solcher Symptome zu erfassen. Aspekte wie starke Anstrengung, kontrollierte Emotionen, Souveränität bei unangemessenem Verhalten des Gegenübers, die man gemeinhin als Selbstkontrolle bezeichnet, können begrenzte Ressourcen erschöpfen. Dazu Diestel: „Im Unternehmen kann ich das zeigen: Wenn Personen sehr stark über Burnout-Symptome berichten, kann ich diese Wahrnehmung in den Zusammenhang mit solchen beruflichen Belastungen bringen.“

In seinem Forschungsbereich entwickelt Diestel mit seinem Team praktische Lösungen für aktuelle Frage- und Problemstellungen der Arbeits- und Wirtschaftswelt. Dabei ist die individuelle Herangehensweise ausschlaggebend. „Es gibt nicht die Lösung, die für alle Unternehmen passt. Jedes Unternehmen hat sein eigenes Profil, sein eigenes Portfolio und seine eigene Kultur. In Abhängigkeit von den Bedarfen eines Unternehmens, den Bedürfnissen von einzelnen Personen, die in dem Unternehmen arbeiten oder eingestellt werden, muss man solche Lösungen entwickeln.“ Dazu stellt Diestel zunächst immer viele Fragen. „Ich gehe nie mit fertigen Konzepten oder Lösungen in die Unternehmen, sondern versuche, das Anliegen der unterschiedlichen Akteure im Betrieb in Erfahrung zu bringen“, erzählt er.

Sein Team und er sprechen hierbei Geschäftsführung, Personalvertretung, sowie Mitarbeiter*innen des jeweiligen Unternehmens gleichermaßen an. „Selbst die Fragestellung wird individuell für das Unternehmen entwickelt. Und nachher habe ich auf der Grundlage sehr differenzierter Statistiken die Möglichkeit, Aussagen darüber zu treffen, inwiefern sich das Unternehmen und die Belegschaft mit Blick auf die eigene Gesundheit oder Leistungsfähigkeit günstig oder weniger günstig entwickeln. Aus diesen Ergebnissen wiederum kann ich maßgeschneiderte Maßnahmen für das betriebliche Gesundheitsmanagement mit dem Fokus auf Prävention, Motivation und Vitalität herleiten.“

Aufklärung auf verständlichem Niveau

Die menschliche Komponente ist auch im Zuge der Digitalisierungsdebatte ein wesentlicher Erfolgstreiber. Drei Faktoren nennt Diestel, die im Rahmen der digitalen Transformation Beachtung finden sollten: Führung und Unternehmenssteuerung durch Strategien, die Angst vor der Digitalisierung und die Entwicklung eines grundsätzlichen Verständnisses darüber, was Digitalisierung leisten kann. „Unternehmen müssen für sich Strategien oder Lösungen entwickeln, die es erlauben, digitale Technologien in die eigenen Geschäftsprozesse zu implementieren oder neue hybride Geschäftsmodelle mit digitalen Perspektiven zu generieren“, sagt er und spricht damit direkt die Zielgruppe der Geschäftsführer*innen und Manager*innen an. „Hier reicht es nicht, agile Methoden anzuwenden, sondern sich auch die Frage zu stellen, inwiefern bestimmte Methoden, Technologien oder Lösungen tatsächlich zu einer innovativen Verbesserung oder Erneuerung der eigenen Geschäftsmodelle beitragen können“, erklärt er. Dazu bedarf es eines Geschäftsmodells, welches auf bestehenden Prozessen aufbaue und parallel dazu neue Lösungen, Produkte, Dienstleistungen und Services entwickele. „Denn", fährt Diestel fort, „über digitale Technologien bin ich in der Lage, mein Geschäftsportfolio zu erweitern.“

Ein weiterer, nicht zu unterschätzender Aspekt ist die Angst der Mitarbeiter*innen vor der Digitalisierung. Diestel: „Große Teile der Belegschaft in den Unternehmen, die ich bislang auch begleitet habe, fürchten sich vor Systemen, vor Software, vor Algorithmen, die man selber in Teilen nicht mehr nachvollziehen kann.“ Menschen können häufig das Ausmaß der Automatisierung nicht mehr fassen und wenn die Aufklärung nicht auf einem verständlichen Niveau geschehe, reagieren sie mit Ablehnung und Angst. „Aus der Forschung zum Change-Management weiß man“, erklärt der Psychologe, „wenn man Veränderungsprozesse im Unternehmen initiiert und realisiert, muss man psychologische Vorarbeit leisten. Und die besteht häufig darin, zu motivieren, Ängste abzubauen und eine gewisse Sicherheitsperspektive zu geben.“ Diese neu gewonnene Sicherheit könne dann wieder Möglichkeiten und Chancen im Unternehmen eröffnen.

Was kann Digitalisierung eigentlich leisten?

Das grundlegende Verständnis darüber, was Digitalisierung eigentlich leisten kann, sieht Diestel als eine zentrale Forschungsfrage an, die im interdisziplinären Austausch von Fachkolleg*innen der Informatik, Psychologie, Wirtschaftswissenschaft, Medizin und Biologie in Theorien erst noch entwickelt werden müsse. Dabei liegt für Diestel ein Fokus „auf dem Unterschied zwischen den Denk- und Informationsverarbeitungsprozessen beim Menschen einerseits und den zahlreichen digitalisierten Algorithmen und den Potenzialen der Künstlichen Intelligenz andererseits“.

Einflüsse der Persönlichkeit auf das Arbeitsverhalten

Im Wintersemester 19/20 bietet Prof. Diestel ein Seminar mit dem Titel „Einflüsse der Persönlichkeit auf das Arbeitsverhalten und -erleben“ an. Die Frage, welchen Einfluss die Persönlichkeit auf das Arbeitsverhalten hat, beantwortet er so: „Persönlichkeit hat einen nachweislich erheblichen Einfluss auf das, was wir bei der Arbeit tun. Und die Frage ist, was heißt eigentlich Persönlichkeit?“ Die übliche Assoziation als Charakterstärke sieht der Forscher aus psychologischer Sicht differenzierter. Er sagt: „Die Weise, wie wir entscheiden, uns anpassen, Informationen verarbeiten oder Aufgaben in Ziele übersetzen ist sehr stark von dynamischen Grundstrukturen unserer Persönlichkeit abhängig. Wie sind wir motiviert? Wie lassen wir uns durch Stimmungen oder Affekte beeinflussen? Sind wir jemand, der extrovertiert auf andere zugeht, oder sind wir zurückhaltender, vorsichtiger. Wie gehen wir mit schwierigen emotionalen Situationen um? Verfügen wir über eine starke Willensstärke, haben wir Selbstdisziplin? All diese Faktoren nehmen Einfluss auf unsere Entscheidung bei der Arbeit.“ Dazu kommen auch Faktoren wie Intelligenz, Kreativität und – nicht zu unterschätzen – die Balance zwischen Privat- und Arbeitsleben. In der Lehrveranstaltung wird er dazu ein ungewöhnliches Persönlichkeitsmodell zugrunde legen, das Persönlichkeit als dynamisches Konzept versteht. „Und das ist unter der Perspektive der Personalentwicklung, der Führung und des Coachings unglaublich wichtig und interessant.“

Drei erfüllte Grundbedürfnisse gewährleisten eine stabile Gesundheit

Diestel macht deutlich: „Der Theorie der Selbstbestimmung zufolge hat jeder Mensch unabhängig vom Alter, Geschlecht und seiner ethnischen Herkunft drei Grundbedürfnisse. Das Bedürfnis nach Autonomie – wir streben danach, selber und unabhängig Entscheidungen zu treffen. Das Bedürfnis nach Leistung und nach Kompetenz, denn jeder hat Fähigkeiten und Kompetenzen, die er oder sie unter Beweis stellen möchte und schließlich das Bedürfnis nach sozialer Beziehung. Jeder möchte sich integriert, sich von anderen verstanden fühlen, mit anderen vertrauensvolle Beziehungen eingehen“, resümiert er. Wenn man in der Lage sei, diese Bedürfnisse bei der Arbeit zu erfüllen, „dann entwickelt man eine stabile Gesundheit und ist über längere Zeiträume sehr leistungsfähig“.

Uwe Blass


Prof. Dr. Stefan Diestel studierte Psychologie mit dem Schwerpunkt Wirtschaftspsychologie und Organisationsberatung an der Ruhr-Universität Bochum, wo er auch promovierte. Seit 2019 leitet er den Lehrstuhl für Arbeits-, Organisations- und Wirtschaftspsychologie an der Bergischen Universität.

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