Von Spurenelementen und der richtigen Dosis – Eine Bergische Transfergeschichte mit Prof. Dr. Julia Bornhorst
„Wir sollten Dinge nicht tun, nur, weil wir es immer so gemacht haben“, sagt Julia Bornhorst. Sie betont zwar: „Ich bin ein großer Fan davon, einfach zu essen, worauf ich Lust habe.“ Aber eine bewusste Ernährung führe auch dazu, sich zu fragen, ob das, was wir zu uns nehmen, so sinnvoll ist. „Jetzt kommen die Lebensmittelchemiker so langsam ins Spiel, die seit zehn Jahren sagen: Wir müssen das alles in den Konzepten überdenken. Wir sollten vielleicht bestimmte Empfehlungen für bestimmte Altersgruppen geben oder auch erforschen, was im Alter passiert.“
Unsere Lebensmittel sind unbedenklich
Zur Aufklärung der Bürger*innen stellt Bornhorst zunächst fest: „Wir haben in Deutschland den tollen Fall, dass wir ein unfassbar hohes Niveau an Lebensmittelsicherheit haben. Niemand von uns muss wirklich Bedenken haben. Rechtlich ist es so abgesichert, dass wir über die gesamte Prozesskette – von der Unternehmensverantwortung bis zum Verbraucher, inklusive Risikobewertung, Risikomanagement und Vorsorgeprinzip – wirklich alles abdecken. Jedes Lebensmittel, das den Handel und unsere Teller erreicht, ist mit einem sehr hohen Schutzniveau versehen.“ Wer dennoch unsicher ist, oder spezielle Nachfragen hat, dem empfiehlt die Wissenschaftlerin die Homepage der deutschen Gesellschaft für Ernährung: „Dort beschäftigen sie sich mit Ernährungskonzepten, aber auch damit, was der Stoff im Körper macht. Und das auf einer Basis, die jeder gut verstehen kann.“ Und wenn man eine bestimmte Zutat erfahren möchte oder, wenn man sich über eine bestimmte Zutat Sorgen macht, dann könne man beim Bundesinstitut für Risikobewertung oder bei der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (in englischer Sprache, Anm. d. Red.) nachschauen. Bornhorst: „Da kann man sich sehr schön informieren: Was sind die Empfehlungen? Was sollte ich pro Tag bei meinem Gewicht und meiner Bewegung aufnehmen, um mich gesund und ausgewogen zu ernähren?“
Erkrankungen: Risikominimierung durch die richtige Ernährung
Die Lebensmittelchemikerin setzt sich auch mit dem Phänomen der alternden Gesellschaft auseinander. „Wir werden aktuell so alt, wie niemals zuvor“, sagt sie, „wir haben heute sehr viele Erkrankungen, die früher nicht dominiert haben.“ Dazu zählen Krebserkrankungen, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Diabetes sowie Demenzerkrankungen, die sich aufgrund der höheren Lebenserwartung häufen. Da setzt Bornhorst mit einer entscheidenden Frage an: „Was ist der Faktor dafür? Ist es der Faktor, wir werden älter? Oder hat sich unser Ernährungsverhalten verändert, dass wir uns eigentlich – jetzt, wo wir wissen, dass wir älter werden – anders ernähren sollten?“ Gibt es also eine ernährungstechnische Antwort auf ein gesundes Altern ohne Erkrankungen, Schmerzen oder Demenz?
Man müsse von den Lebensmitteln ausgehend schauen, erläutert die Forscherin, wie man optimal unterstützen oder Empfehlungen aussprechen könne, da sich durch die Ernährung das Krebsrisiko um schätzungsweise 30 Prozent reduzieren ließe. „Neben Übergewicht, werden auch Alkoholkonsum und Rauchen als Risikofaktoren diskutiert. Viele Menschen schlemmen einfach zu viel, nehmen zu viel Zucker auf.“
Risikominimierung ist das Stichwort und eine gesellschaftliche Veränderung ist bereits im Gange. So erlebt Bornhorst auch ihre Studierenden, die sich heute viel bewusster ernähren. „Es wird mehr über Gemüse und Obst nachgedacht, in den unterschiedlichsten Darreichungsformen. Ob das ein Smoothie ist, oder noch der klassische Apfel.“ Ebenso haben Institutionen wie Altenheime, Krankenhäuser oder Kindergärten den Umdenkprozess mittlerweile vollzogen. „Es gibt heute in vielen Kindertagesstätten das Konzept des gemeinsamen Frühstücks. Man gibt sein Kind dorthin und es erhält ein gesundes Frühstück aus einem Vollkornbrot, ein bisschen Gurke und Tomate. Wenn die Kinder heute im Kindergarten Geburtstag feiern, dann gibt es gesunde Muffins oder nur ein kleines Eis mit einem Obstsalat dazu.“
„Ich habe mich früh in die Spurenelemente verliebt“
Auf den Weg hin zum Lebensmittelstudium brachte Julia Bornhorst ein guter Chemielehrer in der Schule: Er hat bei der naturwissenschaftlich interessierten Schülerin durch Experimente mit Lebensmitteln ihr Interesse für das Fach geweckt. „Ich habe mich damals schon gefragt: Wenn man das Brot zu Hause verarbeitet, warum riecht es eigentlich? Was passiert, wenn das Fleisch beim Anbraten so gut riecht. Oder warum riecht es denn auch so lange? Ich habe mich mit dem Geruch und den Molekülen beschäftigt“, erzählt sie immer noch begeistert, „und dann habe ich erst gesehen, dass es das Fach Lebensmittelchemie gibt.“ In Münster schreibt sich Bornhorst schließlich ein und entdeckt ihr Interesse für Spurenelemente. „Es gibt so viele Felder, die wir nicht verstanden haben. Ich habe mich persönlich schon ganz früh in die Spurenelemente verliebt, weil wir zum damaligen Zeitpunkt gar nichts darüber wussten.“
Neben den großen vier Elementen Kohlenstoff, Wasserstoff, Sauerstoff und Stickstoff machen die Spurenelemente eigentlich nur einen ganz kleinen Teil aus, „Aber“, so Bornhorst, „ohne Spurenelemente könnten wir nicht leben. Das heißt, wir müssen sie aufnehmen. Das ist für unser Überleben erforderlich, denn nur dadurch funktionieren die ganzen enzymatischen Prozesse. Das Immunsystem und das Herz-Kreislauf-System funktionieren durch sie. Ohne die Spurenelemente würde sich das Gehirn gar nicht entwickeln.“ Die Wissenschaftlerin beschäftigt sich dabei vor allem mit den Elementen Eisen, Mangan, Kupfer, Zink und Selen, die allesamt eine große Rolle in einer Vielzahl von Prozessen spielen. Das entscheidende Problem, über das die Wissenschaft zum heutigen Stand keine gesicherte Aussage treffen kann, ist die Tatsache, dass „wir immer noch nicht sagen können, wie viele dieser Stoffe wir eigentlich brauchen“. Zwar könne man die Folgen einer Überdosierung messen, doch „zum jetzigen Zeitpunkt wissen wir nicht einmal, ob wir genügend mit den jeweiligen Spurenelementen versorgt sind, weil wir nicht genug Marker haben“.
Seit einigen Jahren ist die engagierte Akademikerin Mitglied in einem Forschungskonsortium von sechs interdisziplinären Forschungsteams: Die DFG-Forschungsgruppe „TraceAge“ beschäftigt sich mit der Veränderung von Spurenelementen im Alter. Circa 200 Probanden wurden nach 20 Jahren anhand von Blutproben und Ernährungsprotokollen noch einmal evaluiert, um Nachweise zu generieren, die Aussagen darüber zulassen, wie sich die Spurenelemente im Alter verändern. Die Arbeitsgruppe von Julia Bornhorst setzt im Rahmen dieser interdisziplinären Studie Modellsysteme, wie beispielsweise Zellkulturen und den Fadenwurm C. elegans, ein.
Der Fadenwurm: ein außerordentliches Forschungsmodell
Er ist nur einen Millimeter lang, lebt in der Regel knapp 21 Tage und ist über eine internationale Datenbank erhältlich: der Fadenwurm. Mit Hilfe dieses Winzlings können die Forscher*innen neurodegenerative Krankheiten, wie zum Beispiel Parkinson, simulieren. „Wir kennen die komplette Genetik. Und was wir kennen, können wir auch manipulieren“, erklärt Bornhorst. „Der Wurm ist ein außerordentliches Forschungsmodell. Er ist durchsichtig und Gene sowie Proteine können sogar in der Untersuchung eingefärbt werden. Wir kennen alle Neurotransmitter in seinem Gehirn, wie Dopamin und Serotonin. Der Fadenwurm wird von diesen Neurotransmittern komplett in seiner Schlängelbewegung gesteuert. Wenn sich also die Schlängelrate verändert, wissen wir, bei dem Wurm stimmt was nicht.“
Über die Gabe von Mangan an manipulierte Würmer und die daraus resultierende frühere Sterberate lassen sich Erkenntnisse darüber erzielen, was zu viel Mangan für mechanistische Folgen hat. „So können wir auf Dauer die Folgen einer Über- und Unterversorgung mit Spurenelementen besser verstehen und vielleicht sogar durch Zugabe von außen wieder in die ,richtige‘ Balance bringen“, erklärt Bornhorst. Gerade im Bereich dieser Grundlagenforschung ist die interdisziplinäre Arbeit unendlich wichtig. „Ich habe ganz viele Kooperationspartner aus unterschiedlichsten Gebieten: Ich arbeite mit Epidemiologen, mit Analytikern, Toxikologen und Arbeitsmedizinern“, zählt sie auf. Sie postuliert: „Wir müssen uns zusammentun, weil nur alle zusammen überhaupt ein Bild erreichen.“
„Wir wissen nur, dass wir zu wenig wissen“
„Wir kennen die Ist-Situation noch nicht einmal“, schildert Bornhorst das Forschungsdilemma, „wir wissen nur, dass wir zu wenig wissen.“ Die Forscherin forciert die Vernetzung auch mit Behörden und der Industrie, weil sie weiß, dass nur die Erkenntnisse aus einer gemeinsamen Zusammenarbeit den Weg zu den Verbraucher*innen finden. An der Bergischen Universität lobt sie die gute Zusammenarbeit mit den Kolleg*innen aus der Chemie und Biologie und sagt: „Mein Traum ist es, irgendwann den Leuten im Fall einer Erkrankung zu sagen: Vielleicht würde ich dir empfehlen, ein bisschen weniger davon oder ein bisschen mehr davon aufzunehmen, dann sind vielleicht auch die Symptome geringer.“
Uwe Blass
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Julia Bornhorst studierte und promovierte an der Westfälischen Wilhelms Universität Münster. Sie arbeitete fünf Jahre am Institut für Ernährungswissenschaft der Universität Potsdam. Seit Januar 2019 ist sie Professorin für Lebensmittelchemie an der Bergischen Universität.