„Wir müssen Menschen befähigen, selbstbewusst mit neuen Technologien umzugehen“
Was verbirgt sich hinter Machine Learning und Data Analytics?
Prof. Dr. Kummert: Maschinelles Lernen heißt, dass neuronale Netze durch mathematische Verfahren neue Eigenschaften gewinnen. Auf Basis von Beispielen erkennen sie Muster und Gesetzmäßigkeiten. Das ist vergleichbar mit dem Gehirn eines Neugeborenen. Am Anfang sind die Synapsen noch nicht verschaltet, aber durch Training findet eine Entwicklung statt.
Prof Dr. Gottschalk: Data Analytics ist im Grunde eine Unterart des Machine Learning, bei der ebenfalls statistische Methoden zum Einsatz kommen. Dahinter verbirgt sich die Fähigkeit, Rückschlüsse aus Daten zu ziehen – also menschliches Lernen zu unterstützen und Antworten auf Fragen zu gewinnen. Im Grunde genommen ist es interpretierbares maschinelles Lernen, während klassisches maschinelles Lernen nicht interpretierbar ist, sondern vollautomatisch läuft.
Wie sieht das in der Praxis aus? Oder – anders formuliert – an welchen Forschungsprojekten arbeiten Sie aktuell?
Prof. Dr. Kummert: Einer unserer Schwerpunkte liegt auf Lösungen für die Automobilindustrie. Genauer: dem autonomen Fahren. Momentan konzentrieren wir uns u.a. auf die Arbeit mit Sensoren. Wie können sie beispielsweise dazu beitragen, Objekte auf Videobildern zu differenzieren? Dabei geht es um Dinge wie Fußgänger, Autos – idealerweise mit Klassifizierung –, Häuser, Straßen und Schilder. Im Innenraum von Fahrzeugen arbeiten wir dagegen mit 3D-Kameras und untersuchen, wie eine Steuerung durch Gesten aussehen könnte.
Prof. Dr. Gottschalk: Unser Forschungsgebiet sind die Irrtümer der KI. Wir ziehen Informationen zur Unsicherheit einer KI über die eigene Entscheidung aus verschiedenen Quellen und bringen sie über Machine-Learning-Methoden zusammen. Durch eine ganzheitliche Bewertung entsteht dann ein Klassifikationsnetzwerk, das vorhersagt, ob die KI sich irrt. Ziel ist es, Algorithmen zu entwickeln, die den Gebrauch von Künstlicher Intelligenz im sicherheitskritischen Kontext – in diesem Fall im Verkehr – gewährleisten können. In anderen Projekten ging es um automatische Rechnungsprüfung in der Versicherungsbranche.
Wie funktioniert dabei die Zusammenarbeit? Schließlich kooperieren im IZMD zwei unterschiedliche Fakultäten.
Prof. Dr. Kummert: Das funktioniert sehr gut und hat gewissermaßen schon Tradition. In der Lehre arbeiten wir bereits seit 2000 zusammen und führen den Studiengang Informationstechnologie gemeinsam durch. Die im Wintersemester gestarteten Informatik-Angebote sind quasi die Fortsetzung. Auch im Bereich Forschung kommen unsere Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler häufig zusammen.
Prof. Dr. Gottschalk: All diese Themen erfordern interdisziplinäre Fähigkeiten, die niemand gepachtet hat. Außerdem sind viele Dinge so neu, dass Fachleute aus diesen Bereichen Mangelware sind. Die Kooperation von Elektrotechnik, Informationstechnik und Medientechnik sowie Mathematik und Naturwissenschaften ist also überaus sinnvoll.
Und welche Verbindungen gibt es über Universitätsgrenzen hinaus?
Prof. Dr. Gottschalk: Assoziierte IZMD-Mitglieder sind zwei Kollegen von der Hochschule Bochum – Prof. Dr. Jörg Frochte mit den Schwerpunkten Angewandte Informatik und Mathematik sowie Prof. Dr. Marco Schmidt aus dem Bereich Robotertechnik. Auch Dr. Frank Peter Feuerstein, der behördliche Datenschutzbeauftragte der Bergischen Universität ist Mitglied.
Prof. Dr. Kummert: Darüber hinaus haben wir ein sehr großes Transfernetzwerk, das größtenteils aus Unternehmen der Region besteht. Aptiv mit einer eigenen Abteilung zur Künstlichen Intelligenz ist ebenso dabei wie Controll€xpert, IQZ und das Wuppertaler Start-up Lorent IT-Lösungen. Auch Vaillant bringt sich ein – auch wenn man dort gerade erst anfängt, sich mit der Thematik zu befassen.
Wie konkret erfolgt der Transfer in die Region?
Prof. Dr. Gottschalk: Wir haben – vor allen Dingen im Rahmen der Bergischen Innovationsplattform für Künstliche Intelligenz – verschiedene Formate für die regionale Wirtschaft eingeführt, bei denen wir den Part der Ermöglicher übernehmen. Angefangen bei offenen KI-Sprechstunden bis zu Workshops. Davon haben wir bereits zwei durchgeführt. Bei der letzten Veranstaltung waren 30 Unternehmen vertreten. Zudem zeigen wir auch bei Terminen der IHK immer wieder Gesicht und knüpfen neue Kontakte.
Prof. Dr. Kummert: Unsere Studierenden spielen ebenfalls eine wichtige Rolle beim Transfer. Sie gehen in die Firmen und zeigen, was sie gelernt haben. Welche Infos stecken in den vorliegenden Daten? Was kann man noch damit machen? Das geschieht meist in Form von Projekt- oder Abschlussarbeiten, bei denen die Firmen als Problemsteller fungieren. Gleichzeitig sind einige Firmenvertreterinnen und -vertreter als Dozierende an der Bergischen Universität im Einsatz und lassen ihre Erfahrungen in die Lehre einfließen.
Interesse und Bedarf an Künstlicher Intelligenz sind also groß. Wie schätzen Sie selbst die Bedeutung des Themas ein?
Prof. Dr. Kummert: KI wird irgendwann alle Bereiche durchdringen. Auf den aktuellen Hype wird vermutlich ein Tal der Tränen folgen, bevor dann eine normale Entwicklung einsetzt, die unser Leben nichtsdestotrotz fundamental verändern wird.
Prof. Dr. Gottschalk: Wichtig ist – wie bei jeder technischen Entwicklung –, dass dieser Prozess gesellschaftlich begleitet wird. Hier sehe ich einen Auftrag an das IZMD: Wir als Forschende müssen aufklären, Übertreibungen relativieren und Ängste beruhigen. Berechtigter Skepsis in Bezug auf einige Anwendungen müssen wir technische Argumentationshilfen liefern. Wir müssen Menschen dazu befähigen, rational und selbstbewusst mit den neuen Technologien umzugehen. Sei es, indem wir unser Know-how aufbereiten oder in ethische Diskussionen einsteigen.
Prof. Dr. Kummert: Das ist vor allem mit Blick auf die Schattenseiten ganz wesentlich. KI ist eine tolle Technologie, die erstaunlich gut funktioniert und viele neue Lösungen ermöglicht. Gleichzeitig kann sie natürlich auch missbraucht werden. Ich denke an militärische Anwendungen oder die Vernetzung persönlicher Daten auf dem Weg zum gläsernen Menschen. Dinge zu automatisieren ist im Grunde positiv, wenn dadurch aber Menschen klassifiziert werden, ist das makaber. Wir dürfen nicht blind werden vor Euphorie.
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